25. März 2020, 21:58 Uhr

»Wir werden kämpfen«

Der Bundestag ist in den Sitzungswochen ein quirliges Haus. Doch Quirligkeit ist in Zeiten von Corona nicht angesagt. Abstand halten - so lautet in der Sitzung am Mittwoch das Gebot der Stunde. Auch das atemberaubende Beratungstempo ist ungewöhnlich.
25. März 2020, 21:58 Uhr
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Von DPA
Abstand halten und Eigensicherung: Die FDP-Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) verfolgt mit Schutzhandschuhen die Bundestagsdebatte um die Verabschiedung der umfassenden Hilfspakete für die deutsche Wirtschaft und die Bürger in der Corona-Krise. FOTO: DPA

Menschentrauben in den Aufzügen, dicht besetzte Besuchertribünen, Köpfezusammenstecken unter Abgeordneten - so geht es normalerweise in den Sitzungswochen im Reichstagsgebäude zu. Nicht so am Mittwoch. Der Bundestag ist im Corona-Krisenmodus. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht: inhaltlich, in den Abläufen und im Verhalten sowieso.

»Wir tagen unter außergewöhnlichen Umständen«, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gleich zu Beginn der auf einen Tag gestutzten Sitzungswoche. Und er ermahnt die Abgeordneten, die Sicherheitsvorkehrungen penibel einzuhalten. Schließlich unterlägen sie den gleichen Beschränkungen wie alle Bürger auch. »Abstand voneinander ist unsere wichtigste Schutzmaßnahme«, betont der CDU-Politiker.

Abstand halten fällt einigen schwer

Abstand - das bedeutet an diesem Tag, dass im Plenarsaal zwischen den Abgeordneten jeweils zwei der lilafarbenen Stühle frei bleiben - auf jedem liegt ein weißes Blatt mit der unmissverständlichen und in Großbuchstaben geschriebenen Aufforderung »Bitte frei lassen!«.

Das Abstandhalten fällt einigen schwer, wie vor Beginn der Sitzung zum Beispiel eine AfD-Vierergesprächsrunde um Fraktionschef Alexander Gauland zeigt. Als der AfD-Politiker Armin Paul Hampel meint, eines der weißen Schilder ignorieren und doch auf einem der gesperrten Stühle Platz nehmen zu können, wird er vom daneben sitzenden Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki (FDP) verscheucht. Und die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann, pfeift während der Debatte die etwas abseits zum Plausch zusammenstehenden AfD-Politiker Bernd Baumann und Stephan Brandner zusammen.

Doch die Vorsicht ist insgesamt deutlich spürbar. Schäuble beschreibt den Spagat, den das Parlament an diesem Tag zu vollbringen hat: »Wir sind uns fraktionsübergreifend einig, die Handlungsfähigkeit des Verfassungsorgans unter allen Umständen zu wahren und gleichzeitig das Infektionsrisiko so weit wie möglich zu minimieren.«

Olaf Scholz ist morgens der Erste, der mit seinem schwarzen Aktenkoffer auf der Regierungsbank Platz nimmt. Der Vizekanzler und Bundesfinanzminister vertritt Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die noch in häuslicher Quarantäne ist. Ihr Platz mit der leicht erhöhten Rückenlehne bleibt frei. Scholz schickt im Namen aller Abgeordneten »herzliche Grüße ans Homeoffice«, bevor er zu einer Art Regierungserklärung ansetzt. Der SPD-Mann stimmt die Bevölkerung auf schwierige Zeiten ein und bemüht sich zugleich, Mut zu machen: »Vor uns liegen harte Wochen. Und doch, wir können sie bewältigen.«

Die Bundesregierung unternehme alles Mögliche, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzumildern, betont Scholz - und muss doch eine gewisse Unsicherheit einräumen. Denn: »Dafür gibt es kein Drehbuch. Es gibt keinen vorgefertigten Plan, dem wir jetzt einfach folgen können.«

Auf Konsens ausgerichtet

Für Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt steht daher fest: »Wir werden Fehler machen.« Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus räumt ein: »Wir wissen nicht, ob wir jetzt alles richtig entscheiden.« Aber man werde entscheiden, »weil jetzt die Zeit des Handelns ist«. Die Bundesrepublik stehe wahrscheinlich vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. »Diese Herausforderung haben wir uns sicherlich nicht gewünscht, aber wir werden sie annehmen«, betont der CDU-Politiker. »Wir werden kämpfen.«

Zu diesem Kampf gehört der zur Abstimmung stehende Nachtragsetat mit einer Schuldenaufnahme von 156 Milliarden Euro. Der Finanzminister, bisher ein strikter Verfechter der schwarzen Null, spricht von einer »gigantische Summe« und betont: »Wir können uns das leisten.«

Die Debatte wird im Moll und in ungewöhnlich gedämpfter Stimmung geführt. Hitzige Wortgefechte - wie sonst gerade bei Entscheidungen mit so großer Tragweite üblich - bleiben aus. Unruhe kommt nur auf, als AfD-Fraktionschef Gauland mit Blick auf die verhängten Einreiseverbote an eine Standardforderung seiner Partei erinnert: »Man kann also die Grenzen schützen. Und wir werden die Regierung bei Gelegenheit daran erinnern.«

Doch der Grundtenor der Debatte ist auf Konsens ausgerichtet. FDP, Grüne und Linke machen deutlich, dass sie nicht mit allen Punkten darin einverstanden sind, einiges falsch finden, anderes vermissen. Aber sie kündigen ihre Zustimmung an. »In dieser Zeit steht Kooperation vor Konkurrenz«, sagt Grünen-Frau Göring-Eckardt. »Regierung und Opposition tragen in diesen Zeiten eine gemeinsame staatspolitische Verantwortung«, betont der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner. Schließlich verbinde alle Fraktionen ein Ziel, nämlich »Schaden vom deutschen Volk und der Bevölkerung abzuwenden«.



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