Das Ergebnis der Thüringer Landtagswahl liegt nicht nur Politikern im Freistaat schwer im Magen. Die Frage, wer mit wem regiert, ist noch lange nicht beantwortet. Klar ist aber: Ein Phänomen, das bereits bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 1. September aufgetreten ist, hat sich in Thüringen wiederholt. Die Partei des Ministerpräsidenten hat sich jeweils durchgesetzt, einige andere Parteien - ob Regierung oder Opposition - haben im Vergleich zur vorherigen Wahl verloren, nicht aber die AfD.
Die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer beschrieb dies am Wahlsonntag so: »Bei dieser Wahl hat sich eben wieder einmal mehr gezeigt, ähnlich wie in Brandenburg und in Sachsen, dass es gerade in den letzten Tagen und Wochen zu einer starken Polarisierung gekommen ist zwischen dem Ministerpräsidenten in dem Fall und der AfD.«
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bedauerte auf der Wahlparty seiner Partei, dass seine Koalitionspartner SPD und Grüne Einbußen hatten: »Es ist schade, dass es keinen Automatismus gibt, dass der Erfolg, den wir zusammen hatten, nicht auch für SPD und Bündnis 90/Die Grünen gutgeschrieben worden ist.« Grünen-Spitzenkandidat Dirk Adams kritisierte: »In den letzten Wochen hat sich der Wahlkampf total auf die Frage zugespitzt, wer Ministerpräsident wird. Und bei dieser Zuspitzung verlieren die Kleinen immer.«
Der Chef des Forschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, sieht eine gemeinsame Strategie der drei Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) in Thüringen, Dietmar Woidke (SPD) in Brandenburg und Michael Kretschmer (CDU) in Sachsen. Sie hätten sich im Wahlkampf, wenn auch zum Teil erst in der letzten Phase, klar von der AfD abgegrenzt und um Wähler der politischen Mitte geworben, analysiert er. Güllner hat die Landtagswahlen mit der Bundestagswahl 2017 verglichen, mit folgendem Ergebnis: Die Linke in Thüringen habe mit Ramelow fast 126 000 Stimmen mehr erhalten, die SPD in Brandenburg mit Woidke 69 000 und die CDU in Sachsen mit Kretschmer 30 000 mehr.
Mehr Miteinander?
In allen drei Ländern landete die AfD klar über der 20-Prozent-Marke. Thüringens Landesvorsitzender Björn Höcke sieht die Partei nun schon auf dem Kurs zu einer »gesamtdeutschen Volkspartei«. Das beurteilt Meinungsforscher Güllner anders. Sie sei es nicht nur zahlenmäßig nicht, meint er. Die AfD sei in breiten Schichten der Bevölkerung - anders als wirkliche Volksparteien - »nicht verankert«. Woidke hatte im Wahlkampf vor der AfD als rassistische und fremdenfeindliche Partei gewarnt, Kretschmer hatte gesagt, die sächsische AfD erinnere sehr an die NPD. In Thüringen hatte die Linke bei einem Landesparteitag im März Jutebeutel verteilt, auf denen #bodooderbarbarei stand.
Höcke, der die Partei als Spitzenkandidat in die Thüringen-Wahl führte, ist Gründer des rechtsnationalen »Flügels« in der AfD. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft den »Flügel« - anders als die Gesamtpartei - als »Verdachtsfall« im Bereich des Rechtsextremismus ein. Die Landeschefs von Brandenburg und Sachsen, Andreas Kalbitz und Jörg Urban, werden ebenfalls zum »Flügel« gezählt.
Woidke hält die Wahlkampfstrategie seiner SPD für Brandenburg für richtig. »Mir und meiner Partei war klar, dass wir die vor uns liegenden Herausforderungen nur mit mehr Miteinander bewältigen können«, sagt der SPD-Landeschef. »Die SPD hatte darauf aufmerksam gemacht, dass alle, die das auch so sehen, uns wählen müssen. Wir wollten für mehr Zusammenhalt, Sicherheit und Stabilität sorgen.«
Brandenburgs Linksfraktions-chef Sebastian Walter beleuchtet das kritisch: »Es ist offensichtlich, dass wir uns bei der Zuspitzung zwischen der Regierungspartei und der AfD in der letzten Phase des Wahlkampfs als kleinere Partei nicht durchsetzen konnten.« In Thüringen sei nicht diese Zuspitzung allein entscheidend gewesen. Ramelow habe überzeugend gezeigt, dass er mit der knappen Mehrheit von einer Stimme fünf Jahre lang erfolgreich habe regieren können.
Die Linke in Thüringen hat nach Ansicht des Leipziger Politikforschers Hendrik Träger vom Amtsbonus des Ministerpräsidenten profitiert. »Insbesondere der Punkt, ob die Linke oder die AfD stärkste Kraft wird, hat natürlich Leute in Richtung AfD und Leute in Richtung Linke mobilisiert«, sagt Träger. CDU, SPD, FDP und die Grünen hätten auch deswegen Stimmen eingebüßt. Für Güllner ist von Bedeutung, dass sich Teile der politischen Mitte inzwischen auch Parteien zuwenden, die lange als »radikal« galten. »Die Linke in Thüringen ist durch Ramelow auch für bürgerliche Schichten wählbar geworden«, sagt der Forsa-Chef.