19. März 2020, 21:29 Uhr

War’s das Starkbierfest?

Das Coronavirus breitet sich immer weiter aus. Die Zahl der Infizierten schnellt vielerorts nach oben. Sollte sich das nicht rasch ändern, drohen extreme Einschränkungen. Im oberpfälzischen Mitterteich ist es schon so weit.
19. März 2020, 21:29 Uhr
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Von DPA
Dort wo sonst Verkehr ist, herrscht nun zur Mittagszeit bereits Ruhe. Das Landratsamt in Tirschenreuth erteilte eine Ausgangssperre, weil in Mitterteich die Zahl der am Coronavirus erkrankten Menschen besonders hoch ist. FOTO: DPA

Auf diese Berühmtheit hätte das kleine Städtchen Mitterteich gern verzichtet: Die Kommune in der Oberpfalz ist die erste in Deutschland, in der wegen der Corona-Krise eine strenge Ausgangssperre verfügt wurde. Als am Donnerstagmorgen die Frühlingssonne aufgeht, werden die Folgen langsam, aber sicher erkennbar.

Die Polizei kontrolliert an den Hauptzufahrtsstraßen. Berufstätige dürfen zur Arbeit fahren, andere zum Einkaufen gehen. Aber wer nicht in Mitterteich wohnt oder etwas anliefert, der darf nicht rein.

Bis Mittwoch waren im Landkreis Tirschenreuth 47 Corona-Infizierte registriert, 25 von ihnen in der 6500-Einwohner-Stadt Mitterteich. Von den Patienten waren 15 in Krankenhäusern, fünf mussten beatmet werden. Wenn die Ausbreitung so weitergehe, komme das Gesundheitssystem bald an seine Grenzen, mahnt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei seinem Besuch vor Ort am Mittwochabend.

Doch warum hat sich das Virus SARS-CoV-2 ausgerechnet hier so stark ausgebreitet? Als Gerücht geistert es am Donnerstag erst durch die meist leeren Straßen, dann hält die Annahme auch Einzug in den bayerischen Landtag. Ein Starkbierfest sei vermutlich verantwortlich, sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) - und erinnert in seiner Regierungserklärung gleich noch einmal an die aufgeheizte Debatte zur Absage des Starkbierfests am Münchner Nockherberg vor wenigen Wochen.

Ob tatsächlich das bierseelige Fest am 7. März mit engen Sitzbänken und feuchtfröhlicher Stimmung verantwortlich ist, kann noch niemand sicher sagen. Wer aber sieht, wie die Ausbreitung der Virus ohne Einschränkung der Sozialkontakte auch im Alltag verläuft, zweifelt kaum. Umso empörter reagieren Experten, Politiker und viele Bürger auf die immer noch stattfindenden Corona-Partys, bei denen sich meist junge Menschen treffen und keinerlei Abstandsregelungen einhalten.

Dabei ist Mitterteich schon am Donnerstag nicht mehr allein mit der Ausgangssperre. Auch in zwei oberfränkischen Kommunen im Landkreis Wunsiedel dürfen die Menschen nur noch mit triftigen Gründen das Haus verlassen. »Die Fallzahlen sind dort auffällig schnell und stark gestiegen«, sagt die Sprecherin des Landratsamts Wunsiedel. Es handle sich um eine Vorsichtsmaßnahme. Im gesamten Landkreis gibt es derzeit 16 Corona-Patienten - Stand Mittwoch.

Nun sind die Menschen in ganz Deutschland gefragt, wollen sie weitere Ausgangssperren verhindern. Und was noch viel wichtiger ist: eine weitere Ausbreitung der gefährlichen Krankheit.

Deutliche Worte

In seiner Regierungserklärung im Landtag findet Söder deutliche Worte. »Wenn sich viele Menschen nicht freiwillig beschränken, dann bleibt am Ende nur die bayernweite Ausgangssperre als einziges Instrumentarium, um darauf zu reagieren. Das muss jedem klar sein«, sagt er. Man werde »nicht endlos zusehen«.

Mit dieser Einschätzung ist Söder nicht allein, andere Ministerpräsidenten wie der Baden-Württemberger Winfried Kretschmann (Grüne) und der Saarländer Tobias Hans (CDU) wählen ähnliche Worte. Offen ist aber, wie eine landesweite Ausgangssperre aussehen könnte - in Österreich etwa sind dennoch Spaziergänge oder eine Jogging-Runde möglich. In Spanien und Italien ist auch das verboten.

In der Metzgerei schräg gegenüber der Kirche in Mitterteich ist am Vormittag ein Kommen und Gehen. Es kämen aber viel weniger Kunden als sonst um diese Zeit, sagt Eva-Maria Grillmeier, Ehefrau des Inhabers. Eine ältere Dame bestellt Hackfleisch und Würste. Sie kaufe nicht nur für sich selbst ein, sondern auch für zwei Bekannte, die zur Risikogruppe gehörten.

Die Menschen legten sich Vorräte an, so Grillmeier. Noch sei die Ausgangssperre ja ganz frisch. Einige Kunden ließen sich das Fleisch einschweißen zum Einfrieren. An der Theke halten die Menschen freiwillig Abstand voneinander, sodass die Warteschlange teilweise bis zur Türe hinaus reicht.

Ortsfremde blicken durchaus mit Stirnrunzeln auf die Fußgänger in der Stadt. Nach Ansicht der örtlichen Polizei klappt die Ausgangssperre aber bisher gut. Nur vereinzelt hätten Menschen angesprochen und belehrt werden müssen, weil sie unberechtigterweise unterwegs waren, sagt ein Polizeisprecher. Da die Einkaufsmöglichkeiten weiter bestünden, sei Eigenverantwortung gefragt. Wer durch die Stadt gehe, habe längst Bescheinigungen der Arbeitgebers oder zumindest den Ausbildungsvertrag dabei.

In der Metzgerei ist auch das Starkbierfest Gesprächsthema. Es sei diskutiert worden, ob es abgesagt werden soll, sagt Grillmeier. Aber dann durfte es doch stattfinden. Ob es wirklich der Grund für die Ausbreitung sei, lasse sich schwer sagen. »Vielleicht hätte man es verbieten sollen.«



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