Es ist eine bewegende Geste. Junge Fußballspieler berichten am Volkstrauertag im Bundestag, wie sie die Gräber von ehemaligen Vereinskameraden besucht haben, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Es ist ein Weg für sie, Schicksale von jungen Menschen vor 100 Jahren hinter nüchternen geschichtlichen Daten, hinter Kriegen zu begreifen.
Sie schrieben Briefe an die gefallenen Vereinskameraden, von Schalke, Hertha, Liverpool oder Brügge, die sie nun in ihren Vereinsfarben vortragen: »You will never walk alone«, sagt ein Fußballer. Ein Spieler des FC Brügge betont: »Tränen haben keine Farbe.« Ein Kicker von Hertha BSC sagt: »Wir haben Friedhöfe besucht, auf denen mehr Tote liegen als Gäste in unser Stadion passen, über 100 000 Tote.«
Zu diesem Volkstrauertag 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs ist Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zu Besuch. »Das Gefühl, das ich heute empfinde, ist Dankbarkeit.« Seine Ruckrede im Bundestag ist bewegend. Sie endet mit den Worten: »Es lebe Frankreich. Es lebe Deutschland. Es lebe die deutsch-französische Freundschaft. Es lebe Europa.« Die Zuhörer stehen auf und spenden lange Beifall. Das gibt es so nicht oft. Viele seiner Worte sind ein neuerliches Werben um Kanzlerin Angela Merkel (CDU), endlich die Reformen in Europa mit voranzutreiben. Deutschland und Frankreich hätten ihre Differenzen in der EU nie verleugnet, sondern auf den Tisch gelegt. Heute »müssen wir den Mut finden, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Das schulden wir Europa« und denjenigen, die in den letzten 70 Jahre daran gearbeitet hätten.
Heute seien die Herausforderungen andere – Umwelt und Klimawandel, Migration, neuer Nationalismus, und die Digitalisierung. Deutschland und Frankreich müssten ihre Tabus, ihre unterschiedlichen Sichtweisen auf Europa überwinden. Europa müsse mit den notwendigen Instrumenten gegen neue Krisen ausgestattet werden – neben einem Währungsfonds zur Absicherung des Euro schwebt ihm auch eine europäische Armee vor – was US-Präsident Donald Trump auf die Palme bringt. Diese Welt stehe an Scheideweg. Welche Rolle könne Europa dabei spielen?
Es ist quasi ein Gegenbesuch, nachdem vergangene Woche in Compiègne und Paris der Millionen Toten des Ersten Weltkriegs gedacht wurde. Berlin und Paris proben in schwierigen Zeiten den Schulterschluss, auch wenn es zuletzt kräftig hakte. Macrons Vorschläge für eine Neugründung Europas wurden klein gehäckselt, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. In Zeiten von AfD, Lega in Italien und nationalistischen Regierungen wie in Polen und Ungarn werden große Würfe immer schwieriger. Und gerade die Union bremst hier.
Macron lässt nicht locker – auch wenn zu Hause die Menschen auf die Barrikaden gehen, aktuell wegen einer Spritpreiserhöhung. Begeistern kann er immer noch, gerade die Jugend. Das zeigt sich zu Beginn seines eintägigen Berlin-Trips im früher größten DDR-Kino Kosmos an der Karl-Marx-Allee. Wie ein Popstar wird er beim Einzug mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gefeiert, es gibt sogar ein Gruppenfoto mit den rund 500 Teilnehmern des Projekts »Youth for Peace – 100 Jahre Erster Weltkrieg, 100 Ideen für den Frieden«.
500 junge Menschen aus 48 Ländern in Europa, Afrika und dem Nahen Osten haben in den vergangenen Tagen darüber diskutiert, wie der Frieden in einer zunehmend unruhigeren, von Populismus dominierten Welt gesichert und der Zusammenhalt gestärkt werden kann. Ideen sind etwa ein paneuropäisches Jugendwerk und eine Vernetzung in sozialen Medien; von Jugendlichen entwickelte Lehrpläne für eine gemeinsame Geschichtsvermittlung mit einem viel stärker internationalen statt nationalen Lehransatz; die Gründung von europaweiten Clubs etwa an Schulen und Unis, die Vorurteile und »Fake News« gemeinsam bekämpfen.
Zuletzt gab es im Ringen um gemeinsame Reformen Bewegung auf deutscher Seite. Merkel betont bei einem Treffen mit Macron nach der Rede im Bundestag denn auch: Man müsse nun »wirklich liefern« – Mitte Dezember soll es beim EU-Gipfel zu Entscheidungen kommen.
Die Finanzminister Bruno le Maire und Olaf Scholz (SPD) einigten sich gerade schon mal auf den Rahmen für ein Eurozonen-Budget innerhalb der EU-Haushaltsstrukturen, um Investitionen in strukturschwachen Gegenden etwa in Griechenland oder Italien anzukurbeln. Und um den Euro durch gemeinsames Haushalten etwas krisenfester zu machen.