28. November 2018, 18:39 Uhr

Die Bühne als ritueller Raum

Der belgische Regisseur Luk Perceval inszeniert zum ersten Mal am Schauspiel Frankfurt. Am Samstag hat seine rituelle Sicht auf Ken Wilbers Erfahrungen »Mut und Gnade« im Bockenheimer Depot Premiere. Seit 2009 war er acht Jahre ausschließlich für das Thalia-Theater in Hamburg als Hausregisseur unter Vertrag. Jetzt genießt er das Inszenieren in verschiedenen Ländern, unter anderem am Nationaltheater Gent unter Milo Rau ab 2019.
28. November 2018, 18:39 Uhr
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Von Bettina Boyens
»Theater ist vor allem eine sinnliche Erfahrung zwischen Schauspielern und Publikum«, glaubt Luk Perceval. (Foto: Michael Faust)

Was bedeutet Yoga für Ihre Arbeit?

Luk Perceval: Im Grunde ist Yoga eine Übung, Frieden zu finden mit der Welt. Dabei gibt es in der Begrifflichkeit ein großes Missverständnis. In den letzten Jahren, als sich der ganze Wellnesstrend durchgesetzt hat, ist Yoga sehr propagiert worden als etwas, das unbedingt glücklich, fit und schön macht. Dabei hat spirituelles Yoga mit diesem Versprechen der ewigen Jugend nichts zu tun.

Zurzeit bekennen sich viele Schauspieler zum Yoga.

Perceval: Das überrascht mich, die Mehrheit der Schauspieler, so wie ich es erlebt habe, ist da überhaupt nicht interessiert. Weil Kunst in unserem westlichen Kulturkreis immer noch verstanden wird als Produkt des Leidens. Der Mythos geht so: Man muss saufen, rauchen, schlaflose Nächte haben, bevor einem der große Durchbruch gelingt. »Der Künstler soll krepieren«, hat Tadeusz Kantor mal gesagt. Wenn du nicht durch die Scheiße gehst, wirst du nie genial werden.

Ich erlebe den Trend hin zu Kundalini-Yoga, wie ihn Jana Schulz praktiziert.

Perceval: Die Yoga-Kultur ist so groß, da gibt es so viele Richtungen wie es Menschen gibt. Ich studiere Yoga schon seit 30 Jahren und bin selbst auch Yoga-Lehrer, ich mache Tantra-Yoga, fast Tai-Chi, sehr atembasiert. Denn das Ziel meines Theaters ist »Der Mensch«, das heißt der Schauspieler, die Ensemblearbeit.

Warum interessieren sich die Schauspieler weniger für spirituelles Yoga?

Perceval: Das Erste, was ein Schauspieler macht, ist ins Textbuch zu schauen und zu überfliegen: »Wie umfangreich ist meine Rolle, wie viel Text habe ich in diesem Theaterstück?« Und der typische Schauspieler kommt von Schulen, die immer noch die Stanislawski-Methode lehren und die geht so: Bevor du auf die Bühne kommst, musst du die drei existenziellen Fragen beantwortet haben – woher komme ich, wer bin ich, wo gehe ich hin? Das alles ist gleichbedeutend mit »ich ich ich«.

Was setzt du, oh sorry, Sie dagegen? Entschuldigung, jetzt habe ich du gesagt.

Perceval: Ich duze auch die ganze Zeit, denn bei uns in Belgien siezen wir nur den König und Gott.

Sehr gerne. Also, was setzt du dagegen?

Perceval: Ich versuche, die Schauspieler so authentisch wie möglich, so wahrhaftig wie möglich sein zu lassen. Das Ziel ist, zwischen Schauspieler und Publikum eine sinnliche Auseinandersetzung, eine tiefe Erfahrung von Mitgefühl zu realisieren. Wenn oben auf der Bühne aber jemand steht, der nur mit sich beschäftigt ist, dann gibt es nur Eitelkeit, und das interessiert letztendlich keinen. Die Komfortzone, die Egomanie versuche ich aufzubrechen.

Ken Wilbers Buch »Mut und Gnade« als Requiem aufzuführen, war das deine Idee?

Perceval: Ja, Es hat mich sofort zutiefst berührt, weil das nicht nur eine Geschichte ist über einen schrecklichen, persönlichen Schicksalsschlag. Sondern auch das, was ich mit Freunden persönlich erlebt habe: Die Beschreibung der Erleuchtungserfahrung angesichts des Todes. Je näher sie dem Tod kommen, desto mehr erfahren sie ihren Körper als ein relatives Phänomen.

Warum dieses Thema des Sterbens?

Perceval: Je älter ich werde, desto mehr beschäftigt mich die Frage: Was überhaupt sollen wir noch auf der Bühne thematisieren? Klar müssen wir schauen, dass wir unser Mitgefühl mit den Schwächeren der Gesellschaft kultivieren. Aber die Bühne ist für mich ein ritueller Raum, in dem wir uns essenziell mit dem Themen Tod und mit Tabus auseinandersetzen. Und ein enormes Tabu heute ist nicht nur das Altwerden, sondern mehr noch das Kranksein. Einer von drei Personen ist in Deutschland von Krebs betroffen, das ist eine schockierende Zahl.

Allerdings ist Krebs heute besser heilbar.

Perceval: Allein in den letzten fünf Jahren sind in meinem persönlichen Umfeld drei Freunde und mein Vater an Krebs gestorben. Was mir vor allem bei diesen Menschen aufgefallen ist: Als sie krank waren, wurden sie von der Gesellschaft aufs Abstellgleis gestellt. Die Gesellschaft rast weiter.



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