Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Wochenende erneut eine Militäroffensive in Nordsyrien angekündigt - und diesmal lassen die USA ihn gewähren. In einer krassem Kehrtwende ihrer Syrien-Politik ziehen sie am Montag aus dem fraglichen Gebiet ihre Truppen zurück.
? Wie sieht Trumps Syrien-Politik aus?
Trump hat seinen Wählern immer wieder erklärt, aus den »endlosen Kriegen« in Afghanistan, Irak und Syrien herauszuwollen. Seit Monaten fährt er einen Schlingerkurs in der Türkei- und Syrien-Politik. Im Dezember hatte er angekündigt, die rund 2000 US-Soldaten aus Syrien abzuziehen. Im Februar dann hieß es, ein paar Hundert sollten als »Friedenssicherungstruppe« im Kriegsland bleiben. Damals soll Trump Ratschlägen des Militärs gefolgt sein. Über die dürfte er sich jetzt hinweggesetzt haben. Nun gibt Trump der Türkei freie Hand und führt zur Begründung erneut den Rückzug aus sinnlosen Kriegen an. »Wir kämpfen, wo es zu unserem Nutzen ist, und kämpfen nur, um zu gewinnen«, twitterte er am Montag. Er betrachte die Lage in Syrien nicht mehr als US-Angelegenheit. Es sei vielmehr an der Türkei, Europa, Syrien, Iran, Irak, Russland und den Kurden, die Probleme zu lösen. Insbesondere die europäischen Staaten ging er harsch an. Diese weigerten sich, IS-Kämpfer aus ihren Ländern zurückzunehmen, und dächten »wie gewöhnlich«, dass die USA »immer der Trottel« sind.
? Stößt Trumps Vorstoß in den USA auf Zustimmung?
Der einflussreiche republikanische Senator Lindsey Graham sprach von einer »impulsiven Entscheidung des Präsidenten«, die »kurzsichtig und unverantwortlich« sei. Für den Fall, dass der Plan vorangetrieben werde, wolle er eine Resolution in den Senat einbringen, um die Entscheidung umzukehren, kündigte er auf Twitter an. Werden die US-Soldaten nur aus der »unmittelbaren Gegend« zurückgezogen oder steht nun doch der Abzug aus ganz Syrien an? Die Details von Trumps Vorstoß blieben zunächst weitgehend unklar. Die »New York Times« berichtete unter Berufung auf Regierungsbeamte, dass 100 bis 150 Soldaten aus dem Gebiet abgezogen werden sollen, in dem die Türkei die Offensive plant.
? Wie reagieren die kurdischen Milizen?
Die fühlen sich verraten - und kündigen maximale Gegenwehr an. Der Sprecher der von den Kurden dominierten Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF), Mustafa Bali, schrieb am Montag auf Twitter: »Die US-Kräfte vor Ort haben uns gezeigt, dass sie Freundschaft und Allianz nicht wertschätzen.« Am Samstag hatte Bali bereits ankündigt, »jeden Angriff von türkischer Seite in einen umfassenden Krieg entlang der ganzen Grenze zu verwandeln, um uns und unser Volk zu verteidigen«.
? Was passiert mit in Nordsyrien inhaftierten IS-Kämpfern?
Um die soll sich nun die Türkei kümmern, heißt es aus dem Weißen Haus am Montagmorgen. Bisher werden die Gefangenen in verschiedenen Gefängnissen und Lagern von der SDF überwacht - ob die nun weggehen und die Türen offen lassen, ist eine große, offene Frage. Nach Schätzungen des US-Militärs befinden sich rund 10 000 IS-Kämpfer in teils improvisierten Gefängnissen der von den Kurden angeführten SDF-Truppen. Darunter sind nach Angaben der Bundesregierung auch etwa 40 deutsche Kämpfer und rund 70 Frauen mit 120 Kindern. Mehrere Gefängnisse befinden sich in unmittelbarer Nähe zur Grenze zur Türkei, etwa in Ain Issa, Kobane, Kamischli und Malihija. Außerdem warnte das US-Militär jüngst in einem Bericht an den US-Kongress, dass sich IS-Kämpfer in beiden Ländern neu gruppieren konnten. Zwischen 14 000 und 18 000 Mann hielten sich noch in Syrien und im Irak auf. Ein Grund: Den SDF gelänge es nicht, langfristige Operationen gegen den IS durchzuführen.
? Worum geht es der Türkei mit der geplanten Offensive?
Ziel der Offensive ist, in Nordsyrien entlang der Grenze zur Türkei eine Zone unter ihrer eigenen Kontrolle einzurichten. Die Türkei nennt sie wahlweise »Sicherheitszone« oder »Friedenszone«. Hauptsache: keine Präsenz der kurdischen YPG-Milizen mehr. Die sieht die Türkei als Terroristen an. Jüngst hatte Erdogan die Idee noch ausgeweitet und gesagt, in das Gebiet könnten auch Millionen syrische Flüchtlinge umsiedeln, die derzeit in der Türkei und Europa leben. Die Zone soll 30 Kilometer tief sein und sich ab dem Euphrat nach Osten bis an die irakische Grenze erstrecken. Wie die Türken das logistisch leisten wollen, ist eine andere offene Frage. Für den Aufbau als Flüchtlingszone wirbt die Türkei im Ausland - jüngst bei einem Besuch von Innenminister Horst Seehofer (CSU). Seehofer erklärte: »Ich habe deutlich gesagt, dass es ja viele Regierungen gibt, unsere eingeschlossen, die da ihre Probleme haben.«