13. Dezember 2019, 20:22 Uhr

Freie Hand für Johnson

Es waren überraschend bescheidene Worte, die Boris Johnson in der Stunde seines größten Triumphs fand. »Viele von euch«, rief der britische Premierminister in der Nacht zum Freitag auf der Siegesfeier, »haben mir ihre Stimmen nur geliehen. Ich bin demütig, dass ihr mir euer Vertrauen schenkt, und ich werde eure Unterstützung niemals als selbstverständlich voraussetzen.«
13. Dezember 2019, 20:22 Uhr
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Von Jochen Wittmann
Nach der britischen Parlamentswahl steht Boris Johnson nun ziemlich unangreifbar da. Er wird sein Versprechen einlösen können, den Austritt Großbritanniens aus der EU bis zum 31. Januar zu vollziehen. FOTO: AFP

Dabei hat der britische Premierminister die Wahlen zum Unterhaus in überzeugender Manier gewonnen. Die Regierungspartei der Konservativen kam auf 364 Mandate und hat jetzt eine absolute Mehrheit von fast 80 Stimmen im Parlament. Seit mehr als dreißig Jahren haben die Konservativen keinen solchen Sieg einfahren können. Man muss zurück zu Margaret Thatcher gehen, die 1987 eine Mehrheit von 102 Sitzen erzielen konnte, um Vergleichbares zu finden.

Für die größte Oppositionspartei Labour wurde die Nacht zum Freitag zum Albtraum. Eine Stunde nach Schließung der Wahllokale kam das Ergebnis für den Wahlkreis Blyth Valley, eine traditionelle Labour-Hochburg: Er ging mit einem Umschwung von mehr als zehn Prozent an die Konservativen. Das setzte den Ton für die Nacht.

Sedgefield, der alte Sitz von Tony Blair, fiel. Selbst Darlington, Workington oder Bishop Auckland gingen verloren. Der »rote Wall«, eine Reihe von Wahlkreisen in den Midlands und Nordengland, wo bisher immer die Labour-Partei dominiert hatte, wurde gnadenlos gelöchert. Zum Schluss kam die Arbeiterpartei nur noch auf 203 Sitze, 59 Mandate gingen verloren.

Der Wahlausgang spiegelte ziemlich exakt, was die Meinungsumfragen vorausgesagt hatten: Die Konservativen führten mit 43,6 Prozent vor Labour mit 32,2 Prozent. Es war nichts weniger als eine Katastrophe und das schlechteste Ergebnis seit 1935. Labour-Chef Jeremy Corbyn kündigte seinen Rücktritt an, allerdings nicht seinen sofortigen. Für die nächsten Wahlen stünde er nicht mehr zur Verfügung, sagte Corbyn, werde aber vorerst im Amt bleiben, »um der Partei Zeit zur Reflexion zu geben«.

Auch die Liberaldemokraten waren enttäuscht. Sie hatten gehofft, mit der klaren Botschaft zu punkten, den Brexit stoppen zu wollen. Doch sie wurden, auch aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts, zwischen den Volksparteien zerrieben und gewannen lediglich elf Mandate. Die Parteivorsitzende Jo Swinson, die mit der vollmundigen Erklärung, Premierministerin werden zu wollen, in den Wahlkampf gezogen war, verlor ihren Wahlkreis im schottischen East Dunbartonshire an die SNP. Die schottischen Nationalisten dagegen hatten eine gute Nacht. Parteivorsitzende Nicola Sturgeon durfte sich über 13 Zugewinne freuen. Mit insgesamt 48 Mandaten im Nordzipfel des Königreichs hat die SNP eine dominierende Position. Sturgeon erneuerte sogleich ihre Forderung nach einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum für Schottland. Ihr Land und der Rest des Königreichs, sagte sie, seien jetzt »auf auseinandergehenden Pfaden.« Die Brexit-Partei von Nigel Farage schließlich ging kläglich unter. Sie hatte noch im Sommer die Europawahlen als stärkste Kraft gewinnen können. Doch die Entscheidung von Farage, nicht in denjenigen Wahlkreisen anzutreten, wo die Konservativen dominieren, hat seine Wähler zu den Torys getrieben. Zum Schluss wählten nur noch 642 303 Menschen die Brexit-Partei, die damit kein einziges Mandat gewinnen konnte.

Warum sollte man auch die Brexit-Partei wählen, wenn es die Konservativen unter Johnson gibt, haben sich die Briten gedacht. Denn dessen zentrale Wahlkampfbotschaft bestand aus drei Worten: »den Brexit durchziehen«. In seiner Siegesrede wiederholte er es noch einmal als Zugabe. »Diese Wahl bedeutet«, rief Johnson, »dass es die unumstößliche, unwiderstehliche und unbestreitbare Entscheidung des britisches Volkes ist, den Brexit durchzuziehen.« Und dafür hat er jetzt freie Hand. Noch in der kommenden Woche wird das Parlament zusammentreten, und dann will Johnson über das Austrittsgesetz abstimmen lassen. Es gibt keinen Zweifel mehr: Er wird sein Versprechen einlösen können, fristgerecht bis zum 31. Januar nächsten Jahres alle nötigen Gesetze ratifiziert und damit den Austritt Großbritanniens aus der EU vollzogen zu haben. Niemand kann ihn dabei mehr aufhalten.

Johnson steht jetzt ziemlich unangreifbar da. Als er im Juli zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, hatte er seine Machtbasis sofort ausgebaut. Das halbe Kabinett wurde ausgetauscht und kritische Minister durch loyale Gefolgsleute ersetzt. Dann folgte eine ziemlich brutale Säuberung der Partei. Torys, die nicht gewillt waren, Johnsons harten Brexit-Kurs mitzutragen, wurden aus der Fraktion ausgeschlossen, darunter sogar Nicholas Soames, der Enkel von Winston Churchill. Schließlich hat Johnson dafür gesorgt, dass im Wahlkampf nur konservative Kandidaten aufgestellt wurden, die ganz auf seiner Linie lagen. Damit hat er jetzt eine parlamentarische Macht ihm Rücken, die ihm bedingungslos folgen dürfte - ganz im Gegensatz zu dem zerstrittenen Tory-Haufen, mit dem sich seine Vorgängerin Theresa May herumschlagen musste.

Faszinierendes Drama

Es bleibt abzuwarten, ob Johnson die Erwartungen seiner neuen Wähler aus den ehemaligen Labour-Hochburgen erfüllen wird. Die hoffen jetzt, dass der Premierminister seine Wahlversprechen wahrmacht und, unter anderem, 20 000 neue Polizisten und 50 000 mehr Krankenschwestern bereitstellt. Die Leute vom »roten Wall«, denen Johnson seine satte Mehrheit verdankt, wollen mehr Staat. Johnsons Parteifreunde auf dem rechten Fraktionsflügel, allesamt Brexit-Hardliner, wollen allerdings das Gegenteil: weniger Staat und mehr globalisierten Markt. Genau das haben sie sich schon immer vom Brexit erhofft.

Wie lange Johnsons Regierung die Spannung zwischen den beiden Erwartungshaltungen aushalten kann, wird eines der faszinierenden Dramen der Johnson-Ära werden.



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