18. August 2017, 22:22 Uhr

Angriff auf pulsierendes Herz

Es sind Bilder, die die Menschen in Spanien wohl nie vergessen werden: Ein Lieferwagen hinterlässt in Barcelona eine Spur des Todes. Wenig später wird ein zweiter Anschlag vereitelt. Das Urlaubsland steht unter Schock, aber es reagiert – mit Blumen, Wut und Tränen.
18. August 2017, 22:22 Uhr
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Von DPA
Karen Werner

Plaça de Catalunya, 12 Uhr mittags, es ist der Tag nach dem Terror. Tausende Menschen, die meisten in schwarzer Trauerkleidung, versammeln sich auf dem beliebten Platz mitten in Barcelona. Dann kehrt Stille ein. Ein tief bewegter König Felipe schließt die Augen, eine Minute lang schweigt das sonst pulsierende Herz der katalanischen Metropole. Dann aber kommt das wahre Wesen der weltoffenen, fröhlichen Stadt wieder an die Oberfläche: Minutenlang applaudieren die Bürger frenetisch im Gedenken an die Opfer. Ein Chor auf Katalanisch brandet auf: »No temim por« – Wir haben keine Angst!

Wo der Attentäter mit seinem Lieferwagen am Donnerstag eine blutige Spur des Todes hinterlassen hatte, legen die Menschen Blumen nieder, zünden Kerzen an, legen Schilder mit der Botschaft nieder: »Barcelona ist eine friedliche Stadt.« Bereits am Morgen war die Flaniermeile »Las Ramblas« wieder voller Menschen. Dennoch wird der Anschlag mit mehr als einem Dutzend Toten und über 100 Verletzten für lange Zeit Spuren hinterlassen.

Bislang sicheres Reiseziel

Denn das sonnige Spanien, und speziell das mediterrane Barcelona, waren für Millionen Touristen aus dem eher verregneten Norden Europas bislang eines der verlockendsten und vor allem sichersten Urlaubsziele des Kontinents. Schönes Wetter, Superstrände, keine politischen Unruhen, und der letzte große Terroranschlag – damals auf den Madrider Bahnhof Atocha – lag schon mehr als 13 Jahre zurück.

Aber seit Donnerstag, 16.50 Uhr, ist es mit dem Sicherheitsgefühl vorbei. Ein Attentäter raste von der Plaça de Catalunya aus in die Fußgängerzone und überrollte auf 600 Metern alles, was ihm in den Weg kam. Die Behörden teilten später unmissverständlich mit: »Sein Ziel war es, so viele Menschen wie möglich zu überfahren.«

Binnen Sekunden hatte sich die mit Platanen bestandene Prachtmeile mit ihren mondänen Geschäften und schattigen Straßencafés in einen Ort des Grauens verwandelt. Passanten wurden von der Wucht des Aufpralls durch die Luft geschleudert, Tote und Verletzte lagen auf dem Boden und Menschen liefen schreiend um ihr Leben, Bruchteile von Sekunden entschieden über Tod oder Leben. »Da lagen Menschen auf dem Pflaster, blutüberströmt, ich weiß nicht, ob sie noch lebten«, erzählt eine junge Deutsche. Der Schock ist ihr ins Gesicht geschrieben, der Ausdruck starr und ungläubig.

Nur wenige Stunden später werden in der Stadt Cambrils rund 100 Kilometer südwestlich von Barcelona fünf mutmaßliche Terroristen von der Polizei erschossen. Sie tragen Attrappen von Sprengstoffgürteln und agieren genauso skrupellos wie der Attentäter von »Las Ramblas«: Auf ihrer Flucht überfahren die Extremisten mehrere Passanten, eine Frau stirbt am Freitag an den Folgen ihrer schweren Verletzungen.

Am Freitag scheint klar: Bei dem Fahrer von Barcelona handelte es sich wahrscheinlich um einen erst 17-Jährigen mit Wohnsitz im 100 Kilometer nördlich gelegenen Ripoll, der mit dem Pass seines älteren Bruders den Transporter angemietet hatte. Alle Attentäter sollen einer einzigen islamistischen Zelle angehört haben.

Die Anschläge werden etwas verändern. Denn so friedlich und fröhlich Barcelona auch bisher zu sein schien, Terrorexperten wissen schon lange, dass die Stadt eine Brutstätte für radikale Salafisten ist – ebenso wie Madrid und die spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla, wie die Zeitung »El Mundo« in einem Kommentar schrieb. Katalonien sei dabei die Region, die in Spanien die meisten islamistischen Fundamentalisten hervorbringe – und die die engsten Verbindungen zu anderen extremistischen Gruppen in Europa habe.

»Zusammen mit Frankreich und Großbritannien ist Spanien das Land, in dem die meisten Extremisten rekrutiert werden«, so das Blatt. »Zudem gilt das Land als Rückzugsort für Salafisten, die aus den Kriegen in Syrien und dem Irak zurückkehren.«

Trauer in Berlin

(fer). Auch Berlin trauert. Und fühlt mit Barcelona mit. Auf dem Reichstagsgebäude und anderen öffentlichen Gebäuden wehen die Flaggen auf halbmast, vor der spanischen Botschaft im historischen Diplomatenviertel im Tiergarten legen Menschen Blumen nieder und zünden Kerzen an, vor dem Brandenburger Tor, am Boulevard Unter den Linden oder dem Kurfürstendamm herrscht eine gedämpfte Stimmung.

Berlin weiß, wie es sich anfühlt, wenn eine Stadt, in der eben noch heiteres, unbeschwertes Leben herrschte und die Touristen ihren Aufenthalt genossen, Opfer eines feigen Terroranschlags wird, wenn unschuldige Menschen ihr Leben verlieren oder schwer verletzt werden. Der grausige Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz vor der Gedächtniskirche liegt erst acht Monate zurück.

Die Frage, ob sich Anschläge wie in Spanien auch in Berlin wiederholen oder anderswo in Deutschland ereignen könnten, treibt die Menschen um. Die Sicherheitsbehörden können das nicht ausschließen, haben aber auch keine neuen Erkenntnisse, die über den bisherigen Sachstand hinausgehen. An der allgemeinen Bedrohungslage habe sich nichts geändert, die Anschlagsgefahr in Deutschland sei unverändert hoch – »nicht niedriger, aber auch nicht höher«, sagt Innenminister Thomas de Maizière (CDU).

Nach offiziellen Angaben ändert sich auch an den Sicherheitsvorkehrungen in der Hauptstadt nichts, die ohnehin schon sehr hoch sind. Die Polizei patrouilliert vor allen wichtigen Gebäuden und überwacht mit Kameras die Verkehrsknotenpunkte, Kanzleramt, Bundestag, Ministerien und Botschaften werden zudem mit Betonbarrikaden oder Pollern geschützt. Und am Bahnhof Südkreuz wird seit Anfang des Monats ein System zur Gesichtserkennung bei Videobildern getestet.

Unabhängig davon hat der Generalbundesanwalt nach Angaben von Justizminister Heiko Maas (SPD) eingeleitet, da bei dem Anschlag in Barcelona 13 Bundesbürger zum Teil schwer verletzt wurden. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) reiste noch am gestrigen Freitag nach Barcelona, um sich gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Yves Le Drian ein Bild von der Lage vor Ort zu machen und seine Solidarität mit den Opfern und mit Spanien zum Ausdruck zu bringen. Auch Franzosen waren unter den Opfern.



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