29. November 2018, 07:00 Uhr

Boxen

Junge Nidderauerin will ihren WM-Titel im Boxen erstmals verteidigen

Sie ist 1,63 Meter groß und wiegt maximal 48 Kilogramm. Doch Sarah Bormann ist ein echtes Kraftpaket – und amtierende Weltmeisterin im Boxen. Nun muss die Nidderauerin ihren Titel verteidigen.
29. November 2018, 07:00 Uhr
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Von Andreas Matlé
Zehn Profikämpfe hat Sarah Bormann in ihrer Karriere absolviert – zehnmal hat sie gewonnen. (Foto: pv)

Im ersten Film der »Rocky«-Saga boxt sich Sylvester Stallone beim Training in einem Kühlhaus in Philadelphia wütend durch von der Decke baumelnde Rinderhälften. Sarah Bormann drischt weder auf den Teig von Weihnachtsstollen ein, noch zweckentfremdet sie von der Decke hängende Netze voller Brötchen als Box-Birne. Täglich aber steht sie in einer von mehreren Filialen der Bäckerei und Konditorei Uhl aus Bruchköbel, um schlichtweg ihre Brötchen zu verdienen, das heißt diese sowie Kuchen und Torten zu verkaufen. Nicht selten allerdings passiert es, dass Kunden auf der anderen Seite des Verkaufstresens aufmerken und erstaunt fragen? »Sind Sie es wirklich?« Ja, sie ist es wirklich: Sarah Bormann aus Nidderau, 28 Jahre alt, seit vergangenem Sommer amtierende Profi-Weltmeisterin der Women’s International Boxing Federation (WIBF) im Federgewicht. Das ist die Gewichtsklasse bis 49 Kilogramm, die Bormann bei einer Körpergröße von 1,63 exakt auf die Waage bringt. Übrigens jene Gewichtsklasse, in der einst Boxlegende Regina Halmich ihre Karriere begann.

Boxen - Sarah Bormann
Sarah Bormann will beim Kampf um ihren Weltmeistergürtel in Mühlhausen am 8. Dezember ihre...

Am 8. Dezember ist es für Sarah Bormann so weit: Zum ersten Mal, seit sie im August die Ukrainerin Oxana Romanowa entthronte, steht ihr Weltmeistergürtel auf dem Spiel. Verteidigen muss sie ihn in Mühlhausen in Thüringen gegen Ana Fernandez aus Venezuela. Die Südamerikanerin fliegt mit einer beachtlichen Bilanz ein: Von bislang achtzehn Profikämpfen hat sie elf durch K. o. gewonnen. Bormann hat ihre Gegnerin ausführlich studiert. »Sie boxt sehr offensiv. Dieser Stil liegt mir. Ich lasse meine Gegnerin gerne kommen.« Angst vor der Titelverteidigung? »I wo«, verneint sie. »Hätte ich Angst, wäre Boxen der falsche Sport.«


Boxen: Die WM-Titel-Verteidigung ist erst der siebte Profi-Kampf von Sarah Bormann

Es wird der siebte Profi-Kampf der Nidderauerin, die ersten sechs hatte sie durch K. o. gewonnen, einen nach Punkten. Erst spät war sie ins Lager der Profis gewechselt. »Zehn Jahre bei den Amateuren, das hat gereicht. Ich wollte eine neue Herausforderung.« Dabei war sie erst mit 17 Jahren zum Boxen gekommen. »Ja, normalerweise beginnt man früher«, bestätigt Trainer Benjamin Romero, der Bormann seit Beginn ihrer Laufbahn betreut. »Ich habe sofort ihr Talent erkannt. Wie sie sich bewegt, wie sie das umsetzt, was sie gesagt bekommt. Dazu ihre Zielstrebigkeit und ein ungeheurer Ehrgeiz.«

Trotz des harten Sports hat Sarah Bormann keine Angst: Bis auf eine gebrochene Nase hatte ...

Geboren ist Bormann in Bad Soden-Salmünster, vor 20 Jahren zog ihre Familie um nach Nidderau. Gelernt hat sie chemisch-technische Assistentin, versuchte sich zuvor im Fußball, Handball und Radfahren, schaute sich mit ihrem Vater aber auch gerne Boxkämpfe an. »Vor elf Jahren überredete mich eine Freundin, sie zum Boxtraining bei der TG Hanau zu begleiten.« Das war’s dann. »Ich habe schnell gemerkt, welchen Schub mir das Boxen in Bezug auf mein Selbstbewusstsein gegeben hat. Schon, weil man den Sieg für sich alleine erringen kann.«


Boxen: Sarah Bormanns Karriere begann spät - ging dann aber steil nach oben

Davon gab es einige, denn die Karriere von Bormann ging steil nach oben: Viermal deutsche Meisterin im olympischen Boxen, Bronzemedaille bei den Europameisterschaften, die erste Boxerin, die alle Einsätze bei der Nationalmannschaft – insgesamt acht – erfolgreich abschloss und dafür jüngst vom Deutschen Boxsportverband mit einer Ehrennadel ausgezeichnet wurde. Am Ende ihrer Amateurlaufbahn standen 121 Kämpfe, wovon sie bei zwei Unentschieden 104 für sich entschieden hatte.

Hätte ich Angst, wäre Boxen der falsche Sport

Sarah Bormann

Jetzt arbeitet sie auf ein weiteres großes Ziel hin: Die Vereinigung von drei Weltmeistertiteln. Diesem Ziel ordnet sie ihr Privatleben unter. Jeden Morgen um 4 Uhr klingelt der Wecker. Dann geht es bis mittags an die Arbeit, es folgt ein 45-minütiger Dauerlauf durch den Wald, dem sich zwei Stunden Box-Training in Hanau anschließen. Danach essen, ausruhen, zweite Trainingseinheit. Nur sonntags ruhen ihre Fäuste.


Boxen: Der Spitzname von Sarah Bormann ist "Babyface"

Es gibt viele, die mit Boxen nichts anfangen können, die diesem Sport gar ablehnend gegenüberstehen, es als rüde Schlägerei abtun. Wer das Essay »Über Boxen« der amerikanischen Schriftstellerin Joyce Carol Oates liest, mag seine Ansicht möglicherweise korrigieren. Und wer eine Boxerin wie Sarah Bormann beim Schattenboxen und beim Sparring beobachtet, wird jene Ästhetik erkennen, welche gute, alles andere als hirnlose Boxer verkörpern. Geschmeidig, behände bewegt sich Bormann durch den Ring, federleicht, beinahe wie in Trance, nahtlos fließen die Bewegungsabläufe ineinander, präzise wie ein Uhrwerk. Beinahe mühelos sieht es aus, wobei bekannt ist, dass vor der Qualität die Qual steht. Den Angriffen des Gegners ausweichen, abducken, abtauchen, nach hinten gleiten, mit einer Finte den Gegner aus der Reserve locken und, natürlich zum richtigen Zeitpunkt einen Treffer landen. »Bei diesem Schlag gerade«, nickt Coach Romero anerkennend, »wäre jede Frau zu Boden gegangen.« Ihr männlicher, zwanzig Kilogramm schwererer Sparringspartner (weibliche sind derzeit nicht aufzutreiben), freilich hat nur mal kurz gezuckt.

Eines der bisweilen bizarren ungeschriebenen Gesetze des Profiboxens besagt, einem Kämpfer zwecks Imagebildung einen einprägsamen Spitznamen zu verpassen. Bei Bormann ist es »Babyface«. Was sich von jenen martialischen Alias unterscheidet, die Gefährlichkeit oder gar Brutalität signalisieren sollen. Wobei Bormann tatsächlich eher bescheiden und zurückhaltend wirkt.


Boxen: Sarah Bormann über Naschereien, das Leben als Profi-Boxerin und ihr Verletzungsrisiko

»Leben kann ich vom Boxen noch nicht«, räumt sie ein. Zumindest kommt ihr Arbeitgeber ihr bei der Trainingsplanung entgegen. Aber, hinter dem Tresen stehen und Brötchen verkaufen – läuft sie da nicht Gefahr, dass sich der Zeiger der Waage über die Obergrenze des Halbfliegengewichts hinwegstiehlt? »Nein«, entgegnet sie lachend, »erstens kann ich mich beherrschen und zweitens würde das durch das Training wettgemacht.« Was man vor einem WM-Kampf überhaupt noch trainieren kann: »Kondition. Und mein Trainer stellt mich mit entsprechenden Techniken auf meine nächste Gegnerin ein.« Bislang musste sie noch keine größeren Verletzungen hinnehmen. »Ach so«, schiebt sie noch nach. »Die Nase war einmal gebrochen. Aber nur einmal.«



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