Wer wissen möchte, wie sich die Basketballer der Gießen 46ers im Spätsommer 2021 von denen im Herbst 2020 unterscheiden, der musste beim Spiel um Platz drei beim Rewe-Cup in Hagen nur den Worten des Kommentators lauschen. Dieser sprach kurz vor Schluss folgenden Satz: »Bei der Differenz haben wir jetzt das gleiche Ergebnis wie letztes Jahr. Nur das beiden Mannschaften noch jeweils an die 30 Punkte zum exakten Ergebnis von damals fehlen«.
Besser hätte man nicht darstellen können, dass beim Traditionsclub von der Lahn eine neue Mentalität Einzug gehalten hat. Im letzten Oktober gewannen die 46ers das kleine Finale gegen Hagen, doch während damals nach dem 111:92-Erfolg der Mannschaft von Ingo Freyer eher der Tenor vorherrschte, schon wieder eine Saison planloses Offensiv-Gezocke ertragen zu müssen, so freut sich Basketball-Gießen jetzt auf eine aufopferungsvoll kämpfende Mannschaft, die das Zeug hat, die Herzen der mittelhessischen Basketballfans zurückzugewinnen.
Dies hat in erster Linie mit der Neubesetzung der Positionen des Geschäftsführers/Sportdirektors sowie des Headcoaches zu tun. Galt Pete Strobl zunächst in der Gerüchteküche noch als unrealistisches Name-Dropping, so schaffte es der neue Geschäftsführer Sebastian Schmidt, seinen Weggefährten aus gemeinsamen Braunschweiger Tagen an die Lahn zu losten. Und in ihren ersten Tagen am Elefantenklo schafften es die beiden tatsächlich, aus den Trümmern der Abstiegssaison eine Welle der Vorfreude zu erzeugen. Die beiden treten als sympathisches und hochengagiertes Duo auf, das in Gießen wirklich etwas bewegen möchte. Man merkt den beiden an, dass ihnen der Standort am Herzen liegt und sie auch die langfristige Entwicklung im Blick haben.
Darauf lassen nicht nur die Worte der beiden, sondern auch die Taten schließen. Im Kader tummeln sich einige Spieler, die nicht nur den üblichen Ein-Jahres-Vertrag abgeschlossen, sondern sich längerfristig oder mit der Option auf ein weiteres Jahr an die 46ers gebunden haben. Auch bei der Auswahl der Akteure merkt man, dass es nicht in erster Linie darum ging, ein paar Spieler, die irgendwo mal halbwegs passable Statistiken aufgelegt haben, zusammenzuwerfen und zu hoffen, dass es funktioniert. Die Mannschaft hat starke Charaktere im Kader, ligaerfahrene Haudegen und eine gewisse Jugendlichkeit.
Bryant-Wade weiter verhärtet
Die Eindrücke beim öffentlichen Training am Dienstag unterstreichen das. Auf dem Programm - dem Training durften knapp 100 Fans der 46ers beiwohnen, die immer wieder Applaus zollten - standen harte Verteidigungsübungen. Bei aller Euphorie ist aber auch klar, dass es erneut eine Spielzeit wird, in der die 46ers in den Kampf um den Klassenerhalt ziehen werden. Dieser Mannschaft traut man zu, diesen Kampf auch mit Leben zu füllen und zu gewinnen.
Allerdings hat die Aufbruchsstimmung, beginnend mit der hartnäckigen Wadenverhärtung von John Bryant, zuletzt einige Rückschläge erlitten. Die langwierigen Verletzungen von Kendale McCullum und Lautsprecher Byron Blake sind ein heftiger Schlag ins Kontor. John Bryant wurde am Spielfeldrand gedehnt, die Wadenverhärtung hält an. Auch Nuni Omot (Knie) und Philipp Fayne II (Knöchel) mussten pausieren. Hierbei handelt es sich nach Aussagen von Vereinsseite allerdings nur um kleinere Blessuren.
»Was wir machen, ist wirklich hocheffizient. Die momentanen Verletzungen haben nichts mit unserem Training zu tun. Sie sind leider passiert, das macht mir natürlich Sorgen, aber mit dem Training hängt es nicht zusammen. Die Intensität ist nicht zu hoch«, erklärt Strobl nach der öffentlichen Übungseinheit und schiebt nach, dass nun die anderen Jungs in die Bresche springen müssen. Auch am Dienstag trainierten Rackelos und 46ers I wieder gemeinsam. »Die Zuschauer haben gesehen, dass die Jungs da sind und wir trainieren: hart. Denn genauso wollen wir spielen«, sagt Strobl weiter.
Anderson Fixpunkt im Angriff
Zudem ist zu sehen, dass es offensiv noch nicht so rund läuft. Zu oft gibt es Phasen in den Spielen, in denen im Angriff gehörig Sand im Getriebe ist. Einer der Fixpunkte im Angriff soll sicherlich der ligaerprobte Aufbauspieler Kyan Anderson sein. Dieser ist in der Vorbereitung jedoch kaum als Scorer in Erscheinung getreten, sondern eher als Ballverteiler, der vielleicht hier und da zu oft den Extrapass spielt.
»Wenn du die Jungs alleine lässt, gehen sie werfen«, sagt Strobl und zeigt demonstrativ hinter sich aufs Parkett. Scoren wolle jeder, aber um Spiele zu gewinnen, sei eine harte Verteidigung unabdingbar. Nur so seien die qualitativen Unterschiede zu anderen Teams der Liga auszugleichen: »Wir müssen immer ins Spiel gehen mit dem, was wir haben. Wir haben Herz, wir haben Gehirn, wir haben eine hohe Intensität. Unser Schwerpunkt ist und bleibt daher die Defense.«
Wer sich davon selbst überzeugen will, hat dafür am Samstag Gelegenheit. Um 17 Uhr testen die 46ers dann gegen Heidelberg. Es ist das erste öffentliche Spiel seit Beginn der Pandemie. Saisonauftakt ist zwei Wochen später gegen Bayreuth.