26. Juni 2021, 12:00 Uhr

TV Hüttenberg

Der letzte Akt für Nikolai Weber

21 Jahre im Profi-Handball, vier Karrierestationen, jede Menge Erinnerungen. Am Samstag tritt Torhüter Nikolai Weber letztmals auf die Handball-Bühne - in »seinem Wohnzimmer«, der Rittal-Arena.
26. Juni 2021, 12:00 Uhr
JSA
Am heutigen Samstagabend beendet der Ur-Mittelhesse Nikolai Weber seine Profi-Laufbahn. COLLAGE: OLIVER VOGLER

Wenn am Samstagabend gegen 19.20 Uhr der Abpfiff in der Zweitliga-Partie zwischen dem TV 05/07 Hüttenberg und dem Dessau-Roßlauer HV in der Rittal-Arena ertönt, stehen einige Abschiede an. Einer aber sticht besonders heraus: Der von Nikolai Weber - nach 21 Jahren Profi-Handball, einer Anzahl an Spielen, die statistisch gar nicht vollständig erfasst ist, aber wohl jenseits der 500 liegt. Wetzlar, Gelnhausen, Hannover-Burgdorf und Hüttenberg waren die Karrierestationen des Münzenbergers. Im Abschiedsinterview spricht der 40-Jährige über Weggefährten, sein »Wohnzimmer«, die Rittal-Arena, die große Bedeutung seiner Familie und die Zeit nach seiner Karriere.

Herr Weber, wie fühlen Sie sich vor dem letzten Spiel Ihrer Profikarriere?

Ehrlicherweise hat das jetzt erst mit den wirklich letzten Einheiten eingesetzt. Bisher habe ich das höchstens unterbewusst zugelassen. Jetzt merke ich aber, dass es langsam kribbelt. Einerseits erwarte ich es freudig, andererseits war ich 21 Jahre fremdbestimmt, weil klar ist, wann ins Training gegangen wird. Und das fällt dann weg. Aktuell finde ich das noch schwer vorstellbar. Aber es wird passieren, und es geht danach auch weiter. Ich habe da also eher ein lachendes, als ein weinendes Auge, weil ich mich total darauf freue - abends zu Hause sein, die neue, freie Zeit mit meiner Familie oder auch für die Arbeit in meiner Espresso-Bar zu nutzen.

Welche Bedeutung hat der zweijährige Abstecher aus der Heimat nach Hannover für Ihre Erfahrungen?

Für mich war der Wechsel eine entscheidende und wichtige Sache. Es war früh in der Saison (2012/2013; Anm. d. Red.) schon klar, dass es für mich bei der HSG Wetzlar nicht weitergehen wird. Im Oktober ist Christopher Nordmeyer auf mich zugekommen und es ist eben doch etwas sehr Schönes, wenn nicht der Berater loszieht und die Vereine abklopft, sondern ein Verein sich direkt meldet. In dieser Phase war es ein sehr wichtiger Schritt mit der Wertschätzung, die mir von Hannover entgegengebracht wurde. Dazu startete Hannover in der Saison europäisch, was ein Karriereziel von mir war. Außerdem war es eine komplett andere Situation: Umziehen, neue Mannschaft, neue Gegend. Ich zog alleine nach Hannover, meine Frau war verbeamtet, blieb also erst einmal in der Heimat und wir sahen uns nur am Wochenende, es war anders als zuvor. Aber wir beide haben die Zeit sehr intensiv erlebt und ich möchte diese Zeit für mich persönlich auch nicht missen.

Sie haben viele Spieler erlebt, kennengelernt, mit ihnen zusammengespielt. Wer fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie zurückdenken und warum?

Nach 21 Jahren hat man sehr viele Leute kennengelernt. Ich möchte da eigentlich niemanden herausheben, das wäre ungerecht gegenüber den anderen. Im Bus kommen immer wieder mal solche Gespräche zustande und dann fallen Namen von Personen, mit denen ich mal zusammengespielt habe. Dann kommen sie mir wieder ins Gedächtnis und mir fallen dazu gleich zehn Geschichten ein. In jeder Besetzung und in jedem Jahr waren immer spezielle Leute dabei, mit denen ich bis heute Kontakt habe. Das ist etwas Besonderes, was mir riesigen Spaß macht und einen absoluten Mehrwert für mich darstellt.

Ebenso haben Sie viele Trainer erlebt. Gab es den einen, der Ihnen in der Entwicklung einen Schub gegeben hat oder war es von jedem ein bisschen?

Insbesondere am Anfang meiner Karriere, mit Torhüterkollegen wie Waldemar Strzelec, Axel Geerken und Michael Rocksien, war es natürlich schwierig, bei der HSG Fuß zu fassen. So ging ich nach Gelnhausen und da war es Sergej Budanow - ein absoluter Vollprofi, der mit mir dort zu- sammenarbeitet hat. Jasmin Camdzic war gerade 30 Jahre alt, in der Blüte seiner Torhüterleistungen. Dennoch habe ich meine Chancen nach dem schwedischen Prinzip, jeder 15 Minuten in einer Halbzeit, bekommen. Jasmin und ich haben uns da wahnsinnig gut ergänzt und er ist definitiv die zweite Person, die ich nennen muss. Ich habe von unserer Zusammenarbeit unheimlich profitiert, weil er mir immer mit Rat und Tat zur Seite stand. Er wurde dann ja später in Wetzlar auch mein Torwarttrainer. Außerdem natürlich Volker Mudrow, der mich damals ins kalte Wasser warf. In der Vorbereitung hatte sich Zoran Dordic verletzt und ich war in der Situation alleine, in der mich Volker dann ordentlich striezte. Ohne diese Situation wäre mein Weg in die Bundesliga vielleicht gar nicht erst möglich gewesen.

Konstantin Madert, Torwart des TV Emsdetten, adelte Sie nach dem Duell vor wenigen Tagen als Idol und Vorbild. Nehmen Sie diese Rolle gerne an?

Ich kenne Konstantin schon sehr lange. Über Aljoscha Schmidt in seiner Mindener Zeit kam der Kontakt zustande, weil er mir erzählte, sein Torhüter würde immer von mir reden und er könnte sich bei mir noch einiges abschauen. Da haben wir festgestellt, dass wir denselben Humor haben. Ich weiß, dass so etwas von ihm von Herzen kommt. Es ist schön zu beobachten, wie er oder auch andere aus der Liga immer wieder mal mit Fragen um die Ecke kommen. Das erzeugt den Eindruck, ich hätte in meiner Karriere nicht so viel falsch gemacht im persönlichen Umgang mit Mitspielern. Wir Torhüter sind ein besonderes Völkchen und dem habe ich immer ein besonderes Augenmerk geschenkt. In Hüttenberg sind die Spieler inzwischen teilweise 23 Jahre jünger als ich und fragen mich um Rat, und ich antworte auch gerne. Ich fühle mich also sehr wohl in dieser Rolle.

Sie waren in dieser Saison der »Oldie« einer jungen Truppe des TV 05/07 Hüttenberg. Wie ist lautet Ihr Fazit?

Trotz Matthias Rompf, Stefan Kneer und mir sind wir die jüngste Mannschaft der 2. Liga gewesen. Ich habe das auf jeden Fall etwas unterschätzt. Im Februar 2020, also während des ersten Lockdowns, bin ich noch einmal Vater geworden. Da ich komplett zu Hause war, habe ich diese Anfangszeit mit meiner Familie sehr genießen können, habe dabei aber die Fitness schleifen lassen. Das hat sich dann gerächt: Ich verletzte mich sofort, kam überhaupt nicht aus dem Quark. Erst im Dezember kam mein Gefühl richtig wieder zurück. Mit der Rückrunde bin ich zufrieden mit mir selbst. Ich wollte auch noch einmal einen raushauen als persönlichen Abschluss. Es war eine schwierige Saison für uns mit dem Trainerwechsel. Aber Joh (Johannes Wohlrab; Anm. d. Red.) hat das mit sehr viel Ruhe fantastisch gemacht: klar in der Kommunikation und authentisch. So sind ihm auch die jungen Spieler gefolgt. Ich hatte aber auch wirklich kein Interesse, im letzten meiner 21 Profijahre abzusteigen. Deswegen bin ich sehr froh und stolz auf die Mannschaft.

Was bedeutet es Ihnen, dass ihr Abschied nun doch zumindest vor ein paar Zuschauern in der Rittal-Arena, Ihrem »Wohnzimmer«, stattfindet?

Ich nenne es ja schon oft in meinen Posts in den Sozialen Medien »mein Wohnzimmer« und da spielt es sich ja bekanntlich immer am schönsten. Ich hatte mich eigentlich damit abgefunden, dass das Ganze ohne Zuschauer still und heimlich zu Ende geht. Jetzt, mit dem Gefühl aus dem letzten Heimspiel vor Zuschauern, bin ich sehr glücklich. Meine Liebsten werden in der Halle sein, meine Kinder werden ihren Vater noch einmal spielen sehen. Das ist für mich unbezahlbar, versüßt mir den Abschied sehr und da freue ich mich total drauf.

Wie wird Ihre Zeit nach der Karriere aussehen? Sieht man Sie vielleicht in anderer Funktion im Handballsport bald wieder?

Jetzt ist erstmal vier Wochen ein kompletter Break - nur Zeit mit meiner Familie. Das wird emotional eine harte Nummer, die ich erstmal sacken lassen muss und will. Es ist nicht geplant, dass ich ab Oktober in irgendeiner Halle als Trainer stehe. Beruflich will ich mit meinem Geschäftspartner den Fokus auf die Espresso-Bar legen. Dort darf auch gerne jeder mal reinschauen und auf einen Plausch vorbeikommen.



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