Wie ein Quartier für ein Turnier nicht sein soll - man braucht nur auf 2018 zurückzublicken. Watutinki - der eigentlich niedlich klingende Name weckt Wohn-Albträume bei den deutschen Fußballern. Eine Geheimdienstferienanlage in der Moskauer Peripherie, nahe eines Autobahnkreuzes gelegen, das Birkenwäldchen die einzige Attraktion inmitten der Mauern. Das deutsche Team blühte nur auf, als es für ein paar Tage nach Sotschi ans Schwarze Meer durfte.
Dass eine Unterkunft, neudeutsch Basecamp genannt, einen Anteil am sportlichen Erfolg haben kann, wurde 2014 bewiesen. Logistisch sprach alles gegen das abgelegene Campo Bahia im nur mit der Fähre erreichbaren Fischerdorf Santo Andre- doch im Idyll mit Strandzugang wurde aus dem Kader eine Mannschaft.
Das Konzept Campo Bahia will der DFB nun auf die 2021 stattfindende Europameisterschaft übertragen. Er hat sich einfach ein Campo bauen lassen. Nur ohne Brasilien, Meer und Palmen. Obwohl der Arbeitstitel für das Projekt die Sehnsucht nach der Nähe zum Wasser erkennen ließ. »Wir haben es ›Riptide‹ genannt«, sagt Thomas Beheshti, der Teammanager beim DFB. »Riptide« heißt Springflut.
In der Endfassung trägt die Anlage den Namen »Homeground«. Der DFB hat mit Adidas, seinem Ausrüster seit Ewigkeiten, zusammengefunden. Davon ausgehend, dass man die Vorrunde in München spielen würde, suchte der DFB nach einem Quartier im Süden, der Stadt etwa eine Fahrtstunde entfernt: Tegernsee, Murnau, Garmisch-Partenkirchen. »Doch die Anreise am Spieltag wäre schwierig geworden«, erklärt Beheshti. »Und vier Wochen in einem Innenstadthotel wären auch nicht gut gewesen.«
Für Herzogenaurach, die fränkische Kleinstadt, sprachen die Trainingsmöglichkeiten. »Ihr habt nur kein gutes Hotel«, sagte Nationalmannschafts-Direktor Oliver Bierhoff zu Adidas-CEO Kasper Rorsted. Und der ließ eben eines bauen, weil es »um unsere wichtigste Partnerschaft weltweit« geht. Es entstand eine Anlage, eingebettet ins Firmenhauptquartier, die »HerzoBase«. Wegen der Corona-Pandemie wurde die EM verschoben - und auch die Eröffnung des »Homeground«. Rorsted: »Die Mannschaft sollte unser erster Gast sein.« Am Dienstag zieht das deutsche Team ein. Nach der EM wird Adidas sein »extrem gut gebautes Village« (Rorsted) auch anderen Teams für Trainingslager und Firmengästen in Herzogenaurach anbieten.
Vier Bewohner in einem Haus
Village, Dorf - wie das Campo. In Brasilien bewohnten Sechser-Gruppen je ein Haus. Auf dem Homeground stehen 15 Häuser für vier Bewohner. Wobei die Bezeichnung der Bauwerke keine einheitliche ist. »Container«, sagt Adidas. »Villen« nennt Oliver Bierhoff sie. Für Thomas Beheshti sind sie »Units«, Einheiten. Jedenfalls: Bierhoff war es wichtig, »Luft und Glas« zu haben sowie einen »Marktplatz«, an dem »alles ist«. Treffpunkt, Freiluft-Restaurant, Zugang zu den Funktionsgebäuden mit Physiotherapie und Trainerbüro.
Dass es nach München mit dem Bus zwei Stunden sind, wird in Kauf genommen. Dafür ist man in 20 Minuten am Flughafen Nürnberg, wo auch nachts gelandet werden kann, was ein Vorteil ist, wenn man - nach der Vorrunde - nicht mehr in München spielt.
Muss man jetzt nur noch schaffen, dass es ein »nach der Vorrunde« gibt und man das »Turnier von hinten denken« kann. Ein Begriff, der nach Watutinki führt.