Joachim Löw schien die Symbolkraft dieser Detail-Frage kein bisschen zu interessieren. Bekommen die Rückkehrer Thomas Müller und Mats Hummels für die EM ihre angestammten, mittlerweile aber anderweitig vergebenen Rückennummern zurück? »Keine Ahnung«, sagte der Bundestrainer und beteuerte achselzuckend: »Mit so was beschäftige ich mich nicht.« Bei Turnieren wisse er »oft gar nicht, wer welche Nummer hat«, meinte Löw.
Dabei sind die Zahlen auf den Trikots traditionell mit großer Bedeutung aufgeladen - und stehen in diesem Fall beispielhaft für die Frage: Wo sortieren sich Müller und Hummels in der seit ihrer vorübergehenden Ausbootung im März 2019 neu gewachsenen Hierarchie ein? Bei Hummels fällt die Antwort leicht, seine »5« trug zuletzt der nicht für die EURO (11. Juni bis 11. Juli) berücksichtigte Jonathan Tah. Müller aber müsste Rechtsverteidiger Lukas Klostermann seine 13 »wegnehmen«. Der Leipziger wäre nicht der erste, und sicher nicht der letzte »Verlierer« der Rückholaktion. Eine Stammplatzgarantie will und kann Löw den Rio-Helden nicht geben. Doch er ließ klar erkennen, dass Müller und Hummels sofort wieder Säulen sein sollen. »Das sind Spieler, auf die wir setzen«, betonte er bei der Nominierung, »sie spielen eine wesentliche Rolle und können führen.« Das tun aber bereits Kapitän Manuel Neuer und Toni Kroos, die Löw als seine »ersten Ansprechpartner« sieht. Außerdem nannte er Joshua Kimmich, Ilkay Gündogan und Leon Goretzka als Führungsspieler. Hat er jetzt zu viele Häuptlinge? »Es ist gut, wenn dieser Kreis ein bisschen größer ist«, meinte Löw. Doch dass er als kluger Moderator gefragt ist, wenn er seine Gruppe neu strukturiert, zeigt ein Blick in die DFB-Historie: Rudi Völler setzte sich bei seiner Rückkehr 1994 in der WM-Vorrunde noch klaglos auf die Bank, doch vier Jahre später wollte Lothar Matthäus sofort wieder Leitwolf sein und spaltete das Team.
Gerangel um Mittelfeldplätze
Wiederholt sich Geschichte? Er sehe bei der Wiedereingliederung des Duos »überhaupt keine Probleme«, betonte Löw, »beide sind sehr integrativ in ihrer Persönlichkeit«. Und doch: Die Frage nach den Rückennummern mag eine symbolische sein, die nach einem Startplatz birgt Unruhegefahr. Löw hat deshalb bereits im März in seinen Kader hineingehört und die Stimmung ausgelotet.
Am Mittwoch bemängelte er, seiner Abwehr habe zuletzt Stabilität und Erfahrung gefehlt. Gleichzeitig lobte Löw, dass der 32-jährige Hummels auch im Turnierstress wisse, worauf es ankomme, und »gut in der Organisation« sei. Das spricht stark für eine Chefrolle.
Nicht jeder betrachtet die Rückkehrer als »willkommenes Geschenk« wie Antonio Rüdiger. Schon beim WM-Desaster 2018 knirschte es gewaltig zwischen WM-Helden und der Generation Confed Cup, Niklas Süle nannte es noch im März »falsch, den Umbruch infrage zu stellen«.
Wegen Müller (31) konnte Löw bei der Kader-Auswahl guten Gewissens auf seinen Ziehsohn Julian Draxler verzichten. Der Münchner werde »vermehrt aus dem Zentrum und der Halbposition« agieren, sagte er. Das Gerangel um die Mittelfeldplätze wird so noch heftiger - und fordert in Gündogan, Goretzka oder Kai Havertz prominente Opfer.
»Ein erfolgreiches Turnier steht über allem.« Diesen Satz wiederholte Löw bei der Kaderbekanntgabe zwei-, drei-, viermal. Er beschwor aber auch mehrfach den »Teamgeist« und die »Einheit auf dem Platz«. Diese mit Beginn des Trainingslagers in Seefeld am 28. Mai herzustellen, ist seine Aufgabe - und entscheidend für die Titel-Mission.