Es riecht wieder nach Bratwurst und Bier in den Stadien der Fußball-Bundesliga. Es geht wieder los, sogar mit Fans auf den noch längst nicht wieder prall gefüllten Tribünen. In die Vorfreude des geneigten Publikums mischen sich die Vorbehalte des genervten Publikums. Für die einen könnte der Profifußball nicht größer sein, für die anderen hat er sich in Zeiten der Pandemie viel zu breitbeinig positioniert. Die Demutsbekundungen der ersten Corona-Monate sind längst den ersten Unmutsäußerungen prominenter Branchengrößen gewichen.
Ein Bundesligamanager wie der Dortmunder Aki Watzke beschwert sich angesichts der zunächst nur erlaubten 50 Prozent Stadionauslastung mit höchstens 25 000 Fans: »Ich bin nicht bereit, das ewig mitzutragen.« Die Borussia hat in der verwaisten Arena pro Heimspiel vier Millionen Euro verloren. Der Druck des Geldes ist für den Geschäftsführer eines börsennotierten Fußball-Unternehmen besonders groß, die Ungeduld mithin ebenso. Aber es geht niemandem darum, auf »ewig« Grenzen einzuziehen, sondern es ist ein Gebot der begründeten Vorsicht, sich an Vollauslastung heranzutasten.
Fußball als Abbild der Gesellschaft
Mit konkreten Impfangeboten für ihr Publikum leben viele Klubs eine Vorbildrolle. Irritierend ist indes die nach wie vor überdurchschnittliche Inzidenz und unterdurchschnittliche Impfquote in manchen Mannschaften. Zum Profitum gehört auch, sich vor Krankheiten optimal zu schützen. Die Deutsche Fußball-Liga hat darauf gerade gebetsmühlenartig hingewiesen. Nicht alle haben, wie der aktuelle Ausbruch bei Mainz 05 zeigt, die Dringlichkeit verstanden.
Bald nach Beginn der Impfungen in Deutschland hatte Bayern-Boss Kalle Rummenigge noch vorgeschlagen, Fußballprofis als Vorbilder fürs Volk zeitig zu immunisieren. Bedauerlich, dass auch jetzt, da ausreichend Impfstoff vorhanden ist, von einigen Akteuren diese Vorbildfunktion noch nicht gelebt wird: Der Fußball als Abbild der Gesellschaft.
Zum Saisonstart im deutschen Fußball-Oberhaus ist markengerecht ein Topspiel zweier großer Traditionsvereine angesetzt worden. Borussia Mönchengladbach gegen Bayern München - das hat auch international einen guten Klang. Einige der direkt folgenden Samstagspiele - Wolfsburg gegen Bochum, Union Berlin gegen Leverkusen, Augsburg gegen Hoffenheim, Bielefeld gegen Freiburg - offenbaren aber ein Problem: ihren regionalen Charakter in einer verzwergten Bundesliga.
Nach dem Abstieg von Schalke 04 und Werder Bremen sind nach dem Hamburger SV zwei weitere Klubs mit Weitreiche nicht mehr oben dabei. Keine gute Tendenz für die Bundesliga, deren alsbald scheidender Generalmanager Christian Seifert die schwindende Strahlkraft unangenehm verspürt. Auch der freiwillige Abschied des Geschäftsführers nach 16 Jahren im Amt reißt ein Loch.
Derweil hat es der Deutsche Fußball-Bund zwar geschafft, seinen neuen Bundestrainer Hansi Flick vorzustellen. Der arg gerupfte Verband ist aber noch auf der Suche nach einem dem komplexen Amt gewachsenen Mann oder einer kompetenten Frau, die sich zutrauen würde, in der Schlangengrube mit reichlich Männerüberschuss zu überleben. Wie schwierig die Aufgabe ist, zeigt die jüngere Vergangenheit: Keiner der drei zuletzt zurückgetretenen DFB-Präsidenten schaffte es, sich länger als drei Jahre im Amt zu halten. Womöglich ist die Aufgabe zu groß für einen Kopf. Eine Mann-Frau-Doppelspitze könnte eine Lösung für die Wahl im kommenden März sein, sofern sich Leute mit gegenseitigem Vertrauen, fachlicher und charakterlicher Eignung finden.
Turbokapitalismus auf die Spitze getrieben
Parallel zur Führungskrise hat die A-Nationalmannschaft nach dem blamablen Vorrundenaus bei der WM 2018 auch bei der EM 2021 einen trostloses Turnier gespielt. Weder Klubs noch Auswahlmannschaft haben zuletzt das, was ein Verband mit der globalen Rekordmitgliederzahl von mehr als sieben Millionen Menschen in einem der reichsten Länder der Welt quantitativ erhoffen lässt, in Topqualität in der Spitze kanalisiert. Schon die Halbfinale der europäischen Klubwettbewerbe fanden ohne deutsche Beteiligung statt. Kein gutes Zeugnis.
Liga-Chef Seifert und Bayern-Boss Oliver Kahn haben jüngst eine Gehaltsobergrenze für Spielerkader ins Gespräch gebracht. Die beiden Schwergewichte spüren, dass der deutsche Profifußball Gefahr läuft, international abgehängt zu werden. Corona hat die Vorteile der Geldbeschaffung für investorengetriebene Klubs wie Paris Saint-Germain wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht. Die aus Katar alimentierten Pariser, nach den Wunderstürmern Neymar und Kilian Mbappé nun noch mit Weltstar Lionel Messi bestückt, haben den Turbokapitalismus auf die Spitze getrieben. Viele Fans in Deutschland akzeptieren das für ihre Klubs nicht.
Die Bundesliga tut sich ebenso wie die Nationalmannschaft schwer, in dieser schwierigen Gemengelage ihren Weg zu finden. Und über allem schwebt die Frage: Werden die Fans überall genauso gierig zurück in die Stadien strömen, wenn sie es alle wieder dürfen? Jan Christian Müller