30. März 2021, 22:36 Uhr

Der ganz große Wurf

30. März 2021, 22:36 Uhr
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Von SID

Vorgestern erst: Klaus Wolfermann war einkaufen in einem größeren Laden, als ihn jemand ansprach: »Sie sind doch der Wolfermann! Ich war damals im Stadion.« Damals: 1972, an einem goldenen September-Tag. Klaus Wolfermann wurde Olympiasieger im Speerwurf. Hochdramatisch: Er schleuderte das Gerät auf 90,48 Meter, der als unschlagbar geltende Weltredkordler Janis Lusis aus der Sowjetunion schaffte in seinem letzten Versuch zwei Zentimeter weniger. Die Bilder und die exakten Daten aus diesem Sport-Krimi hat eine ganze sportinteressierte Generation abgespeichert - und für Klaus Wolfermann ist das der Beweis für olympische Nachhaltigkeit: »Die Spiele haben München und Bayern geprägt.«

Wolfermann wird immer noch erkannt. Er hat sich seit seinem Gold-Coup optisch kaum verändert und ist auch nie aus der Öffentlichkeit verschwunden. Er hat die Klasse von 1972 stets zusammengehalten, Adressen von Olympiateilnehmern verwaltet, er ist sozusagen der Vater der Kompanie. »Ich bin einer, der einfach dahinmarschiert und seinen Spaß haben und was erleben will«, sagt er, »und darüber habe ich fast vergessen, dass ich altere.« Heute wird Klaus Wolfermann 75. »Mir geht es gut, bis auf ein paar Zwickelchen.«

Vor 20 Jahren zog er von Herzogenaurach, wo er nach seiner sportlichen Karriere in zwei Disziplinen (etwas weniger bekannt: Wolfermann war auch im Viererbob international unterwegs) für Puma im Marketing gearbeitet hatte, ins oberbayerische Penzberg. Zum 75. wird die Feier coronabedingt im engen Familienkreis (Frau, Tochter, Schwiegersohn, Enkelin) stattfinden.

Immer wieder gehen seine Gedanken ins Jahr 1972 zurück, an die Spiele von München, die bis zum Attentat auf die israelische Mannschaft unvergleichlich gut waren. Die Empfindung von »Geschlossenheit und Solidarität von uns Sportlern sowieso, aber auch von Menschen aus allen Ländern« wirkt fast 50 Jahre später noch nach. Verstärkend dazu kommt seine persönliche Glücksgeschichte: der Wettkampf, der Sieg, das kochende Stadion. Auch dass sich mit Lusis, dem sportlichen Widersacher, eine Freundschaft entwickelte, die bis zu dessen Tod vor knapp einem Jahr hielt, gehört zu Wolfermann.

Schon aufgrund seiner eigenen Beziehung zu Olympischen Spielen verfolgt Klaus Wolfermann die aktuelle Sportpolitik. Auf das Monument München 1972 folgte aus seiner Sicht »nur Stückwerk« aus Deutschland. Halbherzige oder unkoordinierte Bewerbungen, die alle scheitern mussten.

Während der Spiele von Rio de Janeiro 2016 war Klaus Wolfermann ein gefragter Gesprächspartner gewesen, weil mit Thomas Röhler ein Deutscher Olympiasieger im Speerwurf wurde - der erste nach ihm 1972.

Tokio in der nachgeholten Auflage von 2021 wird Klaus Wolfermann mit gemischten Gefühlen verfolgen: »Global gesehen wird es schade sein, wenn Olympia, was fast feststeht, ohne Zuschauer stattfindet. Zum Erhalt der Spiele wird man es aber so machen müssen.« An München kommt eh nichts ran. »München«, sagt Klaus Wolfermann, »war eine Sensation.« GÜNTER KLEIN



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