Viele Absagen: Schwangere brauchen bei Hebammen-Suche Geduld
Endlich schwanger. Sonja Ott hat fast nicht mehr daran geglaubt. Ihre Freude ist riesig, wird aber überschattet: Die Wölfersheimerin hat eine Risikoschwangerschaft vor sich, und die Suche nach einer Hebamme scheint eine unlösbare Aufgabe zu sein.
10. Februar 2018, 12:30 Uhr
Von Laura Kaufmann
Mit dem Bauch wachsen oft auch die Sorgen: Kümmert sich eine Schwangere nicht frühzeitig um eine Hebamme, kann sie – wenn sie Pech hat – das Nachsehen haben. (Fotos: lk/dpa)
Über 50 Hebammen hat Sonja Ott angerufen, keine hatte Zeit, alle sind ausgebucht. »Ich wusste ja, dass es einen Hebammen-Mangel gibt, aber nicht, dass er so massiv ist«, sagt die 36-jährige Wölfersheimerin. Sie ist in der 17. Woche schwanger.
»Ich sage im Durchschnitt vier bis fünf Frauen pro Tag ab«, berichtet Alexandra Specka, Hebamme aus Reichelsheim. Von einem Hebammen-Mangel will sie aber nicht sprechen. »Die Unterversorgung gibt es nicht, weil wir im Wetteraukreis zu wenige sind, sondern, weil es zu wenige sind, die anbieten, was gewünscht wird.« Manche Hebammen würden nur die Geburten-Nachsorge übernehmen, aber keine Geburten betreuen, andere seien in Kliniken angestellt, arbeiteten wiederum nicht im Bereich der Nachsorge. Hebamme Sandra Törmer aus Florstadt ergänzt: »Wegen der hohen Haftpflichtversicherungen, die Hebammen inzwischen zahlen müssen, arbeiten viele nicht mehr in ihrem Beruf.« Specka weiß: »Für Schwangere ist die Suchenden oft schwierig.
Gleich doppelte Risikopatientin
Wie für Sonja Ott. Sie bekommt ihr erstes Kind. Lange hat es auf sich warten lassen, seit über zehn Jahren versuchen die Psychologin und ihr Ehemann, ein Baby zu bekommen. Ott leidet unter dem Polyzystischen Ovar-Syndrom, einer Stoffwechselerkrankung. Betroffene Frauen kämpfen mit einem erhöhten Androgenspiegel, Zyklusstörungen und Unfruchtbarkeit. Ott war davon ausgegangen, dass es auf natürlichem Weg nicht klappen wird. Vor rund drei Monaten bestätigte ihre Ärztin die Schwangerschaft, Otts persönliches Wunder.
Als Erstgebärende gilt sie aufgrund ihres Alters als Risikopatientin. Eine Vorsorgeuntersuchung ergab zudem, dass bei Ott das Risiko für eine Schwangerschaftsvergiftung erhöht ist. Bei einem Pränataldiagnostiker erfuhr sie, was das bedeutet. »Mir wurde gesagt, wie hoch mein Risiko ist, vor und während der Geburt zu sterben, wie hoch mein Tromboserisiko ist und mehr. Ein beruhigendes Wort gab es nicht. Ich hatte panische Angst, war völlig fertig. Nicht zuletzt deswegen wollte ich während der Schwangerschaft die Begleitung einer Hebamme.« Als sie sich in der elften Schwangerschaftswoche auf die Suche machte, war sie schlichtweg zu spät dran.
Auch in angrenzenden Landkreisen nachgefragt
Vanessa Hildmann arbeitet als Hebamme im Bad Nauheimer Hochwaldkrankenhaus: Sie rät: »Frauen sollten sich am besten in der vierten bis fünften Schwangerschaftswoche, direkt nach dem positiven Schwangerschaftstest, auf die Suche machen.« Ihre Kolleginnen Törmer empfiehlt: »Am besten man kümmert sich direkt mit der Aushändigung des Mutterpasses darum.«
Sonja Ott hat eine Risikoschwangerschaft vor sich.
Ott probierte es nicht nur bei Hebammen im Wetteraukreis, sondern auch im Kreis Gießen und Lahn-Dill. »Ich habe nichts unversucht gelassen, den meisten war aber die Anfahrt zu weit.«. In ihrer Verzweiflung streute sie in den Gesprächen sogar ein, dass sie privat versichert ist. Nicht einmal das half.
Hebamme Törmer sagt: »Mir haben Frauen erzählt, dass es Hebammen gibt, die zusagen, wenn sie im Gegenzug einen bestimmten Betrag bekommen. Das ist natürlich ein Ausnutzen der Situation.« An eine solche Hebamme geriet Ott nicht. »Alle, mit denen ich telefoniert habe, waren nett und verständnisvoll. Sie waren eben nur schon belegt.« Otts Kind soll im Juli zur Welt kommen. Geburtstechnisch kein guter Monat. Denn: »Auch Hebammen haben Kinder und müssen Urlaub machen«, sagt Törmer.
Glück nach über 50 Anrufen
Ott hatte mit Anruf 54 – vielleicht auch 55 oder 56 – Glück. Eine Hebamme sagte zu. Mit Einschränkungen: Kommt das Kind früher als geplant, ist die Hebamme im Urlaub. Sie wird auch die Geburt nicht betreuen können. Ott ist das inzwischen fast egal. Sie ist froh, dass die Begleitung während und nach der Schwangerschaft gesichert ist. »Nach dem ersten Gespräch mit meiner Hebamme ging es mir erstmals seit dem Termin bei der Pränataldiagnostik wieder gut.« Die Hebamme habe ihr Ruhe vermittelt.
Otts Plan B, falls sie mit ihrer Suche gescheitert wäre: »Ich hatte schon den ›Rat der weisen Frauen‹ gegründet – bestehend aus befreundeten Mütter, die mir zur Seite gestanden hätten.«
Infobox
54 Hebammen im Kreisgebiet
Im Wetteraukreis arbeiten 54 Hebammen, die überwiegende Anzahl ist selbstständig. Acht Hebammen betreiben eine eigene Praxis. Verantwortlich für die Tätigkeit der freiberuflichen Hebammen ist der Fachdienst Gesundheit und Gefahrenabwehr des Wetteraukreises. Einen Hebammenmangel »können wir nicht feststellen«, antwortet dieser auf WZ-Anfrage. (lk)