Minutenlang zählt die Staatsanwältin Daten und Orte auf, an denen die damalige Vorsitzende der Sport-Union Nieder-Florstadt jeweils 1000 Euro vom Vereinskonto abgehoben hat. Jede einzelne der 56 Abhebungen gilt als Straftat. Denn die 56 000 Euro sind nicht dem gemeinnützigen Verein, sondern der Vorsitzenden zugute gekommen. Dafür musste sich die 60-Jährige am Dienstag vor dem Schöffengericht in Friedberg verantworten. Wegen besonders schwerer Untreue verurteilte sie das Gericht zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldbuße von 2500 Euro.
Wofür hat die Ex-Vorsitzende das Geld ausgegeben?
»Ich gebe zu, dass ich es getan habe«, sagte die ehemalige Vorsitzende auf der Anklagebank vor den Augen zahlreicher Vereinsmitglieder, die als Zuschauer zu der öffentlichen Verhandlung gekommen waren. »Ich habe mich damit selbst bereichert.« Wofür hat sie das Geld ausgegeben? Wieso hat jahrelang niemand etwas bemerkt, und wie lebt es sich in Nieder-Florstadt, nachdem man sich am Geld des 1200 Mitglieder starken Vereins bedient hat? Diese Fragen stellte Richter Dr. Markus Bange der Angeklagten – geduldig und teilweise mehrfach.
Auf mich macht es den Eindruck, dass sie über ihre Verhältnisse gelebt haben
Richter Dr. Markus Bange
»Ich habe regelmäßig etwas abgehoben, nicht für große Anschaffungen wie ein Auto, sondern um mir selbst etwas zu kaufen«, sagte die Angeklagte. Ihm liege zum Beispiel eine Rechnung über einen Thermomix vor, bohrte der Richter nach. Sie könne nicht mehr sagen, was das alles gewesen sei, erklärte die Ex-Vorsitzende und sorgte für Flüstern und Kopfschütteln im Publikum. Außerdem habe sie monatlich das Haus abzuzahlen. Der Richter rechnete vor, dass das Einkommen der Eheleute mit über 3500 Euro einen guten Standard biete. »Auf mich macht es den Eindruck, dass sie über ihre Verhältnisse gelebt haben«, sagte er. »Ja, das könnte man so sagen«, entgegnete sie.
Für Rückzahlung das Haus verkauft
Ihre Tat hatte sie schon vor der Strafanzeige eingeräumt und eine notariell beglaubigte Rückzahlungsvereinbarung unterschrieben. Die 56 000 Euro seien bereits beglichen, hieß es vor Gericht. Die Summe in der Vereinbarung sei jedoch deutlich höher. Verein und Staatsanwaltschaft hatten im Februar 2018 angegeben, dass rund 150 000 Euro fehlten.
Gegenstand der Verhandlung war, was die Angeklagte zwischen Oktober 2013 und November 2017 an Bankautomaten abgehoben hatte. Den Kassenprüfern habe sie unterdessen gesagt, das abgehobene Geld liege bar in der Kasse des Vereins, erklärte die Angeklagte. Dass dieser Barbestand nicht existierte, fiel erst auf, als das Vereinskonto nur noch rund 100 Euro zählte (die WZ berichtete).
Ich bereue es unwahrscheinlich, aber ich kann es leider nicht rückgängig machen
Ex-Vorsitzende der Sport-Union
Um das Geld für die Rückzahlung an den Verein aufzubringen, habe sie ihr Haus in Nieder-Florstadt an ihre Tochter verkauft, erklärte die 60-Jährige. Dort lebe sie nun mit ihrem Mann zur Miete – wegziehen komme nicht infrage. »Familie und Freunde unterstützen mich«, sagte sie. »Viele haben sich auch von mir abgewendet – das verstehe ich zum Teil, zum Teil aber nicht.« Im Dezember 2017 schlug der Fall in Nieder-Florstadt hohe Wellen. Damals ermittelte die Staatsanwaltschaft Gießen, und der Verein beschloss im Februar 2018, seine ehemalige Vorsitzende wegen vereinsschädigendem Verhalten auszuschließen. Sie hatte sich bis dato jahrzehntelang in der Sport-Union engagiert – einige Jahre davon im Vorstand.
Vergleichsweise mildes Urteil
»Ich bereue es unwahrscheinlich, aber ich kann es leider nicht rückgängig machen«, sagte die Angeklagte im Schlusswort.
Das Urteil fiel mit einer Bewährungszeit von drei Jahren und einer Zahlung an die Staatskasse vergleichsweise milde aus. Die Angeklagte sei geständig, zeige Reue und habe sich zuvor nichts zuschulden kommen lassen, sagte der Richter in der Urteilsbegründung. Die Motivation sei für ihn indes wenig nachvollziehbar. Er erwähnte außerdem den Schaden, den sie dem gemeinnützigen Verein über den Verlust des Geldes hinaus zugefügt habe: »Wenn so etwas öfter vorkommt, engagieren sich noch weniger Menschen in Vereinen.« Das Urteil ist rechtskräftig.
Die Sport-Union Nieder-Florstadt hat über 1200 Mitglieder, die jährlich Beiträge bezahlen. Der Verein mit den drei Abteilungen Musik, Handball und Turnen besitzt zudem eine Immobilie, die alte Turnhalle. Zwischenzeitlich sammelten sich mindestens 150 000 Euro auf dem Vereinskonto bei der Sparkasse Oberhessen an. »Das Geld sparten wir für Projekte wie den geplanten Bau einer neuen Sporthalle«, sagte die ehemalige Vorsitzende vor dem Schöffengericht in Friedberg. Gebaut wurde die Halle bisher nicht. Zu den schärfsten Gegnern eines Neubaus gehörte Mitgliedern zufolge die wegen Untreue angeklagte Ex-Vorsitzende.