26. September 2019, 18:26 Uhr

Der Rabbi und der »Leider-Zug«

26. September 2019, 18:26 Uhr
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Von Petra Ihm-Fahle

»Die Leute wissen nicht, ob sie lachen dürfen. Zuerst lachen sie verhalten, dann mehr.« Und am Ende gehen sie nach Hause und sagen: »Ich habe mit dem Rabbi gelacht.« Dies sind die Erfahrungen von Rabbi Walter Rothschild bei seinen Comedy-Darbietungen. Gemeinsam mit Max Doehlemann trat er im Badehaus 2 auf.

Ein »genialer jüdischer Comedy-Abend« war angekündigt. Das Motto: »Rabbi Walter Rothschild erzählt aus seinem Leben und singt leider.« Pardon. Gemeint sind natürlich »Lieder« bei der Veranstaltung mit viel Applaus, die im Rahmen der Interkulturellen Woche auf dem Programm stand. Der Zuspruch war so rege, dass nicht alle Interessenten einen Platz bekamen. Eingeladen hatten Ausländerbeirat Bad Nauheim, Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Wetterau, das Deutsche Rote Kreuz in Friedberg und die Stadt.

Ausländerbeiratsvorsitzender Sinan Sert war von dem vollen Haus angetan. »Demokratie leben« fördere den Abend, erläuterte er. »Es ist wichtig, dass Projekte dieser Art durch ein solches Programm unterstützt werden.«

Wie Britta Weber erklärte, freue sie sich sehr, jüdische Kultur und Witz zu präsentieren. »Bis 1933 war dies wesentlicher Bestandteil unserer Kultur und nun lebt es wieder auf«, sagte die Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Comedy - das heißt, sich vor Lachen über einen seichten Gag nach dem anderen zu biegen. Diesem Klischee entsprach die Darbietung nicht: Rothschild und sein virtuoser Begleiter am Klavier, Max Doehlemann, präsentierten ein anspruchsvolles, tiefgründiges Kabarett. Dies war allerdings mit Comedy-Witzen und Anekdoten stark aufgelockert. Jochen Mörler, der städtische Fachbereichsleiter Kultur, traf den Nagel auf den Kopf, als er bei der Eröffnung erklärte: »Der Rabbi wird Sachen sagen, über die wir lachen werden, aber wir könnten sie nicht selbst sagen. Das hat etwas mit unserer Geschichte zu tun.«

Man musste indes genau hinhören, denn Rothschild verpackt seine Botschaften subtil. Roter Faden ist seine Begeisterung für die Eisenbahn. Und das Publikum konnte mitunter überlegen, wie er es meinte. Aus Schuberts Liederzyklus »Die Winterreise« beispielsweise macht Rothschild »Die Winter-Bahnreise«. Mit lustiger Bahnhofsvorstehermütze singt der 65-Jährige vermeintlich humorig, wie er von pünktlichen Zügen träumt. Dann aber kommt er zum Bahnhof, alle Gleise sind mit Schnee bedeckt. Fenster und Türen sind vereist, der Zug ist nicht geheizt. »Es sind jetzt minus zehn Grad, ich fühl mich wie in Stalingrad«, singt er mit Tremolo. Sind dies nun Seitenhiebe auf die Bahn und deren Komfort, über den sich Zugreisende gern amüsieren? Das Lachen kommt an dieser Stelle zögernd, denn während des Zuhörens dämmert es schon: Es geht wohl eher um den Albtraum einer Deportation. Weitere ernste Statements trägt Rothschild wie nebenbei vor, Lacher erntet er, wenn er trocken mit Worten spielt.

Zwei Stunden erzählt Rabbi Rothschild, der in Bradford gebürtige Sohn eines geflüchteten Deutschen, über sein Leben. Er war bei der Bahn in Hamburg, Religionslehrer in England und Rabbi an wechselnden Orten Europas.

Seine Erlebnisse und Gedanken sind breit gespannt: Er erzählt über Opern, die Beschneidungs-Debatte, Israel, Antisemitismus, Speisegesetze, deutsch-jüdische Beziehungen, berufliche Enttäuschungen, Familie und vieles mehr. Das kam so gut beim Publikum an, dass die Organisatoren die Veranstaltung wiederholen wollen.



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