Im Rahmen der Interkulturellen Woche fand kürzlich die Auftaktveranstaltung statt. Elisabeth Hillebrand, ehrenamtliche Beauftragte für Integration und Gleichstellung im Vogelsbergkreis, begrüßte dazu zahlreiche Gäste in der Landesmusikakademie in Schlitz.
Bereits um 18 Uhr konnten sich die ersten Gäste auf dem Markt der Möglichkeiten umschauen, der die Vielfalt im Beratungs-, Bildungs- und Kulturangebot im Vogelsberg repräsentierte. Der Cateringdienst von Kompass Leben hatte dazu ein Fingerfood-Buffet mit Köstlichkeiten aus vielerlei Ländern vorbereitet.
Musikalisch bestritt die Lauterbacher Formation »Sax Affair« diesen Teil des Abends. Den zweiten Teil übernahmen die drei Musiker der »One World Band«, die ungewöhnliche Instrumente und orientalische Musik mitgebracht hatten.
Besonders füllte dann Rostam Nazari das Motto des Abends mit Leben. Mit einer Lesung aus seinem Buch »Rostams Reise - Von Afghanistan nach Deutschland« beeindruckte er das Publikum. »Lesen können sie alle, aber etwas erzählt zu bekommen, ist etwas ganz anderes«, sprach er und begann mit seiner Geschichte.
Es ist die Geschichte eines jungen Afghanen, der im Alter von 15 Jahren schon acht Jahre im Iran als Flüchtling lebt, und dessen ganze Familie der Illegalität und Perspektivlosigkeit mit einer weiteren Flucht nach Europa entkommen möchte. Unterwegs wird Rostam von seiner Familie getrennt, selbst die letzten beiden Verwandten, seinen Bruder und seinen Cousin, verliert er zwischenzeitlich. Die drei jedoch sind es, die nach einer dramatischen Flucht über sechs Länder in Deutschland ankommen.
Buchautor und Elektriker
Nazari, inzwischen 21 Jahre alt, Buchautor, Elektriker und gefragter Redner, berichtete von all dem so schonungs- wie klaglos: Es war eben so. Seine Kindheit im Iran, wo er nicht zur Schule gehen durfte und bis zur Flucht in mehreren Jobs arbeitete. Seine Flucht, auf der er sich mit seinen beiden Gefährten ständig wechselnden Schleppern anvertrauen musste, die sie - die noch nie das Meer gesehen hatten - schließlich in einem kleinen, eng besetzten Schlauchboot aufs Wasser trieben. Eine Überfahrt, die sie nur knapp überlebten.
»Niemand setzt sich oder das Leben seiner Familie einer solch lebensgefährlichen Strapaze aus, wenn er noch etwas zu verlieren hat«, sagte Nazari, dessen Appell sich auf sichere Fluchtwege bezog. Seine Botschaft: Es sind alles Menschen, die unterwegs sind. Menschen, die Respekt und Achtung verdient haben, auch wenn sie nichts mehr haben.
Die aktuelle Situation in seinem Heimatland besorge ihn sehr, berichtete Nazari, der darum warb, Afghanistan nicht nur als Land voller Terroristen zu sehen, sondern hauptsächlich voller Menschen, die auf internationale Hilfe angewiesen seien und die man nicht vergessen dürfe.
Viele Fragen galten dann seinem jetzigen Leben und dem seiner Familie, die zurück in den Iran musste und von dort wieder in die Türkei floh, wo sie jetzt noch lebt. Moderatorin Traudi Schlitt fragte nach seinen Eindrücken und nach seiner Zuversicht, die er offenbar nie verloren habe.
Der junge Autor erwies sich als Meister im positiven Denken. Geduld sei wichtig, Glaube, Ausdauer, Menschen, die einen begleiten. Bescheiden und doch bestimmt, mit sachtem Witz und einigen alten deutschen Weisheiten zog er die Zuhörer in seinen Bann und verriet, dass er zwar das schwarze Brot der Deutschen inzwischen liebe, aber sich noch immer wundere, »wie man Mettbrötchen mit Zwiebeln essen kann«.
Mit Verein andere unterstützen
Noch heute leben die Nazari-Brüder in Marburg, wo sie vor sechs Jahren direkt von der Erstaufnahmeeinrichtung hingeschickt wurden. Dort möchten sie aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft mitwirken: Er habe sehr viel Glück gehabt, dass er jetzt da stehe, wo er steht, aber er habe auch viel dafür getan und Mut bewiesen, konstatierte er. Allen Kindern und Jugendlichen, die nicht so viel Glück haben und denen es nicht gelingt, in der deutschen Gesellschaft Fuß zu fassen, wollen Nazari und sein Bruder Sohrab mit einem Verein helfen, den sie im vergangenen Jahr gegründet haben (kosmos-verein.de.
Nazaris Credo lautet: »Wenn ein Analphabet aus Afghanistan nach 200 Tagen in Deutschland seinen Hauptschulabschluss macht und kurze Zeit später ein Buch schreiben kann, dann ist alles möglich.« FOTO: PM