29. Oktober 2021, 21:26 Uhr

Mode-Ketten verlassen Seltersweg

Der Seltersweg steht vor einer ungewissen Zukunft. Gute und schlechte Nachrichten zu Leerstand oder Neuvermietung wechselten sich zuletzt in regelmäßigen Abständen ab. Nachdem der Einzelhandel über die Rückkehr von P&C und das geplante Konzept von Faber & Schnepp jubelte, kündigt sich für das erste Quartal 2022 der Abschied von zwei Mode-Ketten an.
29. Oktober 2021, 21:26 Uhr
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Aus der Redaktion
H&M schließt den Standort im Seltersweg, wo das schwedische Unternehmen 1998 eröffnet hat. Die Filiale im Neustädter Tor bleibt erhalten. FOTOS: SCHEPP

Die Optimisten, die zuletzt durch die im Frühjahr anstehende Rückkehr des Modehauses P&C an den alten Standort und die Vorstellung des möglicherweise wegweisenden Konzeptes des Bauunternehmens Faber & Schnepp für den langjährigen Leerstand im oberer Seltersweg deutlich Rückenwind erhalten hatten, müssen nun anerkennen, dass der Patient noch lange nicht über den Berg ist.

Ende Februar werden zwei renommierte Mode-Ketten ihre Filialen in Gießens 1-a-Lage schließen. Es handelt sich um den schwedischen Textilhändler H&M, der seit 1998 im früheren »Brückner und Mund« zu Hause ist, sowie um den niederländischen Ausstatter WE im Seltersweg 75. »Wir müssen im Seltersweg Ende Februar schließen, da es nicht mehr profitabel ist. Wir bedauern diese Entscheidung sehr, da wir immer wieder Maßnahmen durchgeführt haben, um den Umsatz und die Attraktivität unseres Stores zu steigern«, lässt die Pressestelle von H&M aus Hamburg wissen. Die Filiale in der Galerie am Neustädter Tor bleibt. Von den 22 Mitarbeitern des Damen-Stores im Seltersweg sollen »so viele wie möglich« weiter beschäftigt werden.

Vom WE-Sitz in Utrecht heißt es: »Wir überprüfen regelmäßig die Situation der Filialen im Zusammenhang mit auslaufenden Mietverträgen. Wir sind zum Entschluss gekommen, dass wir in Gießen schließen.« Auch die Zukunft des italienischen Mode-Unternehmens Benetton im Seltersweg 22 ist unsicher. Dort läuft der Mietvertrag im zweiten Quartal des neuen Jahres ebenfalls aus. Bisher wurde er nicht verlängert. Zuletzt hatten bereits WMF, Runners Point und Swarowski die Innenstadt verlassen.

Markus Pfeffer, der Geschäftsführer des BID Seltersweg, weiß um den Ernst der Lage, aber auch um die Stärken der Einkaufsmeile. »Wir sind bereits in Gesprächen über Nachfolgenutzungen und Alternativideen für die Objekte. Zum Teil gibt es zwar einen Investitionsstau, wir sind aber sehr zuversichtlich, dass wir mittelfristig für alle Immobilien eine Lösung finden, die gut zum Seltersweg passt.«

Appell an die Stadtregierung

Pfeffer richtet aber auch einen Appell an die neue Stadtregierung aus Grünen, SPD und Gießener Linken. »Die neue Koalition muss Impulse setzen, damit der Seltersweg, die Aorta der Stadt, keinen Schaden nimmt. Eine Regierung, die gegen Urbanität arbeitet, dazu zähle ich auch den Autoverkehr, arbeitet gegen den stationären Einzelhandel«, betont Pfeffer. Von Experten höre er immer wieder, wenn Innenstädte erst mal Schaden genommen hätten, sei dieser nicht mehr zu reparieren. Für die 800 Quadratmeter im ehemaligen »Brückner und Mund« einen H&M-Nachfolger zu finden, dürfte indes schwer werden. Die verwinkelte Ladenfläche, die immer wieder Ladendiebe anzieht, und die Außenfassade sind nicht mehr zeitgemäß. In Kombination mit Brandschutzfragen lässt sich vermuten, dass hier in Zukunft eine großere Umbaumaßnahme oder eine Umnutzung anstehen.

Immobilien-Fachmann Stefan Sahl von Sahl Immobilien hat im Seltersweg festgestellt, dass die Nachfrage von Einzelhändlern und der Mietpreis »deutlich nach unten« gegangen sind. »Von Höchstmieten sind wir 20 bis 30 Prozent entfernt«, sagt Sahl, der derzeit versucht, für das an der Ecke Seltersweg/Löwengasse leer stehende Objekt einen passenden Nachmieter zu finden.

»Früher war es einfacher. Heute schauen wir proaktiv, wer überhaupt noch expandieren will«, berichtet der Gießener, den hauptsächlich gastronomische Nachfragen erreichen. »Nachfragen gibt es«, sagt BID-Mann Pfeffer, »aber wir wollen auch darauf hinwirken, dass die Neuen ins Portfolio des Selterswegs passen.«



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