03. März 2021, 21:21 Uhr

Kraftakt einer guten Stadtentwicklung

Autobahnbau, ein neues Industriegebiet - Homberg wird in den kommenden Jahren noch viel Wandel erleben. Wie ist der am besten zu gestalten, damit die Alteingesessenen weiterhin gern dort wohnen und sich vielleicht Zuzügler aus Ballungsgebieten für die Ohmstadt interessieren? Darauf antworten die im Stadtparlament vertretenen Parteien und Gruppierungen.
03. März 2021, 21:21 Uhr
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Von Kerstin Schneider
Die Autobahn 49: umstritten, umkämpft, aber auch als Chance gesehen: Sie wird Homberg künftig ihren Stempel aufdrücken. FOTO: DPA

?Der größte Streitpunkt der letzten Monate war der Bau der Autobahn 49. Sehen Sie im Bau nur Chancen oder auch Probleme?

CDU: Die CDU sieht im Ausbau der A 49 sowohl große Chancen als auch Herausforderungen. Der Anschluss ist für die nachhaltige Entwicklung des Gewerbegebiets Roter Berg von großer Bedeutung. Um mit den Beteiligten über mögliche Änd erungen in den Bereichen Lärm- oder Sichtschutz zu sprechen und Verbesserungen zu erzielen, hat die Stadtverordnetenversammlung einen Juristen beauftragt, der den gemeinsam erarbeiteten Fragenkatalog sukzessive abarbeiten wird.

SPD: Natürlich, wir sehen durch den Bau der A 49 Probleme und hier hätte im Vorfeld einiges besser laufen müssen. Momentan versuchen wir für Homberg alles zu tun und noch das Bestmögliche aus dieser Situation herauszuholen. Erste Schritte haben wir in der Stadtverordnetenversammlung mit der Beauftragung des Anwaltes getan. An oberster Stelle steht für uns der Lärmschutz für die anliegenden Ortschaften. Und nur weil die Autobahn gebaut wird und weil wir eine Zufahrt bekommen, wollen wir in diesem Bereich ein Gewerbegebiet entwickeln, das ortsnahe Arbeitsplätze bietet und wo über die Gewerbesteuer Einnahmen für die Stadt entstehen.

FW: Aus Sicht der Freien Wähler Homberg ist der im Planfeststellungsbeschluss festgelegte Trassenverlauf nicht der optimalste. Seinerzeit sollte es einen Anschluss an die B 3 durch Marburg geben. Da aktuell der Verlauf Homberg und seine Ortsteile tangiert, sehen wir Chancen, um das seit Jahren geplante Gewerbegebiet besser vermarkten zu können. Durch die Trassenführung durch den Dannenröder Forst sowie durch einen Teil des Waldes in Maulbach sind erhebliche Einschnitte in die Natur erfolgt. Ein Risiko, Grundwassergebiete zu verunreinigen, Lärmimmissionen durch den Verkehr auf der Autobahn sowie der Zubringerstraßen sind nicht von der Hand zu weisen. Wir bewerten aber die Chance höher als das Risiko.

Grüne: Die infrastrukturellen Vorteile, die es geben kann, überwiegen leider in keiner Weise das, was durch den Bau unwiderruflich zerstört würde. Abgeschnittene Dörfer, gerodete Wälder, riesige Flächenversiegelung und eine hohe Zunahme der krank machenden Verkehrs- und Lärmbelastung sowie die drohende Gefahr für das Trinkwasser - dies steht in keinem Verhältnis zu den vermeintlichen Vorteilen - und ist sehr fragwürdig in Zeiten, in denen wir auf eine Klimakrise zurasen.

Demokratisches Bürgerforum (DBF): Der Bau einer Autobahn kann Chancen eröffnen. Ebenso kann die örtliche Struktur so stark in Mitleidenschaft gezogen werden, dass die Risiken weit überwiegen. Nirgendwo sonst im Trassenverlauf wird eine Gemeinde von der Autobahn so durchschnitten und einige Stadtteile so abgehängt von der Kernstadt wie in Homberg. Den Autobahnbau hätte die Gemeinde zwingend rechtlich begleiten lassen und ihre Interessen konsequent durchsetzen müssen. Nun ist man auf »Wohlwollen« der DEGES angewiesen. Der Anfang vom Ende begann also vor 13 Jahren. Auf Betreiben des Bürgerforums wurde ein erfahrener Anwalt eingeschaltet, um »Schadensbegrenzung« zu betreiben. Durch Anträge haben wir die Initiative ergriffen, um dem Anwalt Handlungsvollmachten zu erteilen. Wie wichtig dies ist, zeigt sich daran, dass der vom Magistrat vorgelegte einzige Antrag zur A 49 zu spät beim Stadtverordnetenvorsteher eingereicht wurde und nicht in der letzten Sitzung in dieser Legislaturperiode behandelt werden konnte.

?Ein weiteres Großprojekt ist das geplante neue Gewerbe- und Industriegebiet. Wie soll es entwickelt werden?

CDU: Es soll sich eine gesunde Mischung aus mittelständischen und größeren Unternehmen ansiedeln. Dies umfasst auch die Erweiterung von ortsansässigen Gewerbebetrieben, damit wir so Unternehmen und Arbeitsplätze schaffen und halten können. So kann bei gleichzeitiger Arbeitsplatzsicherung ein höheres Steueraufkommen erreicht werden. Welche Unternehmen sich ansiedeln, wird sich zeigen. Fest steht bislang nichts, Stadtpolitik und Verwaltung können dies aber über Festlegungen im Bebauungsplan klar regeln.

SPD: Hier stehen wir noch am Anfang und haben erst einen Flächennutzungsplan beschlossen. Hiernach geht es an den Bebauungsplan und in diesem werden dann die Vorgaben des Parlamentes für das Gebiet festgeschrieben. Diese Arbeit kommt auf das künftige Parlament zu, das hier aber alle Möglichkeiten hat. Was oder wer sich ansiedeln wird, das ist noch unklar. Eines ist aber klar, einen einfachen Container-Umschlagplatz wird es mit uns nicht geben.

FW: Mit der Vermarktung sollte der Fokus auf produzierendes Gewerbe gelegt werden. Einen Flächenverbrauch durch Logistikzentren lehnen wir ab, da wir uns qualifizierte Arbeitsstellen vorstellen. Das Gewerbegebiet soll in Teilen erschlossen werden. Eine vollständige Erschließung in einem Zug ist nicht zielführend. Die Erschließung soll sich an Bedarfen orientieren, sodass die Finanzierung möglich ist. Einen ersten Schritt sind wir mit der Einbindung der Ver-und Entsorgung im Rahmen der Erstellung der neuen Straße nach Dannenrod gegangen, die einen erheblichen Teil der Kosten reduziert. Die Entwicklung ist derzeit die einzige Chance, weiteres Gewerbe in Homberg anzusiedeln. Durch den demografischen Wandel sollen künftige finanzielle Belastungen der Bürger abgefedert werden. Das gelingt aber nur durch Zuzug von weiteren Gewerbetreibenden.

Grüne: Angedacht war die Ansiedlung mittelständischer Betriebe und von Kleinbetrieben mit qualifizierten Arbeitsplätzen. Die Standortanalyse hat uns die Augen geöffnet: Laut dieser sind für den Standort nur Mast-, Recyclingbetriebe oder Logistik interessant. Diese brächten wenig qualifizierte Arbeitsplätze trotz hohem Flächenfraß. Eine Entwicklung, die die hohen Kosten zu einem Vorteil für Homberg bringen würde, sehen wir dort - auch aufgrund der momentanen Hauslage nicht. Dafür sind wir 20 Jahre zu spät.

DBF: Das Bürgerforum hat sich stets für das Bereitstellen von Industrie- und Gewerbeflächen für ansässige Unternehmen, interessierte kleine und mittelständische Betriebe sowie Start-ups eingesetzt. Hierfür eignet sich durchaus das geplante Industrie- und Gewerbegebiet in unmittelbarer Autobahnnähe. Grundvoraussetzung ist aber eine intelligente Planung und durchdachte Vermarktung des Gebietes. Seitens des Magistrats wurden bisher keine auch nur ansatzweise akzeptablen Lösungsansätze aufgezeigt. Klar ist, dass wir keine Logistiker, Mastbetriebe oder Recycling-Unternehmen wollen und akzeptieren. Sollten Überlegungen der Bürgermeisterin und der sie stützenden Fraktionen weiter in diese Richtung gehen, werden wir auch bei diesem Thema ein initiierendes Bürgerbegehren einleiten und den Hombergern die Möglichkeit geben, ihre Meinung zu äußern und mitzubestimmen.

?Leerstand in der Innenstadt, hohe Kosten für die Infrastruktur in den Dörfern - wo soll sich Homberg hin entwickeln?

CDU: Mit einer ganzheitlichen Politik (berufliche Angebote, günstige Miet-/Kaufpreise, gute Angebote für Jugendliche und Familien uvm.), die gerade jungen Familien eine dauerhafte Perspektive bietet, will die CDU es ermöglichen, dass die wichtigen Strukturen erhalten bleiben. Klar ist: Kindergärten, Straßenunterhaltung, DGHs, Schwimmbad, Freizeitangebote usw. müssen auch finanziert werden. So schließt sich der Kreis zu den ersten zwei Fragen.

SPD: Hier hängt eins am anderen - einer der wichtigen Punkte ist Gewerbe nach Homberg zu holen und Arbeitsplätze zu schaffen, dann werden auch mehr Menschen hier wohnen wollen und damit Nachfrage entstehen, die wiederum ein Angebot fordert wie Gaststätten in der Innenstadt. Tourismus ist einer der großen Möglichkeiten. Da haben wir viel zu bieten, z.B. mit dem möglichen Radweg. Hier können Besucher mit Bahn und Fahrrad etwa aus Frankfurt kommend in Burg-Gemünden aussteigen und mit dem Fahrrad Richtung Kirchhain fahren, in Homberg über Nacht bleiben, wandern und essen gehen und später weiter fahren bis Kirchhain und von dort mit der Bahn wieder nach Hause.

FW: Die Chance, die Stadtmitte Hombergs zu beleben, ist mit dem Bürgerentscheid vertan worden. Der Onlinehandel wird weiter zunehmen, aktuell auch durch die Pandemie befeuert. Ob sich Unternehmergeist in der Innenstadt breitmacht, wagen wir zu bezweifeln. Von daher läge eine zielführende Chance im Gewerbegebiet, um auch weiterhin die Leistungsfähigkeit, auch für freiwillige Leistungen, für das Gemeinwesen sicherzustellen. Sicherstellung der Ärzteversorgung, Betreuung der Kinder ab U3 sowie Bereitstellung eines bunten Straußes an Arbeitsstellen muss unser Ziel sein, damit Arbeiten und Leben in Homberg erstrebenswert bleibt. Die Infrastruktur kann im aktuellen Rahmen nur finanziert werden, wenn Familien die Großgemeinde als lebenswert ansehen. Dazu gehört auch die Entwicklung von Baugebieten und Renovierung/Sanierung von Baubestand. Den Rahmen dazu zu geben, wird unsere zukünftige Aufgabe sein.

Grüne: Homberg braucht ein Konzept, eine Anpassung und Ausrichtung auf zukunftsorientierte, neue Aspekte und Lebensmodelle. Gefragt sind Konzepte, die Wohnen, Arbeiten, gesellschaftliches Leben und Freizeit verbinden. Es müssen in Verbindung mit dem Leerstandkastaster Möglichkeiten etwa für Start-ups oder Mietbüros geschaffen werden, damit sich junge Familien, welche die Vorteile von ländlich geprägten Kleinstädten wie Homberg mit guten Kindergarten- und Schulmöglichkeiten schätzen, auch beruflich in Homberg ansiedeln können. Förderprogramme zur Altbausanierung sollten stärker werden.

DBF: Für das Bürgerforum ist das Erarbeiten eines Zukunftskonzepts »Homberg 2030« sowie eine zukunftsweisende Stadt- und Dorfentwicklung unter Inanspruchnahme von Förderprogrammen eine Voraussetzung, um leeren Schaufenstern in der Innenstadt und einer Verödung der Dörfer entgegenzuwirken. »Wo stehen wir - wo wollen wir hin?« Das sind Fragen, die vor populistischen Aktivitäten beantwortet werden müssen. Mit dem Pflanzen von »Blumenstöckchen« wirkt man der allgemeinen Entwicklung des Innenstadtsterbens nicht entgegen. Mit Betroffenen muss in Fragen der Immobilienentwicklung kooperiert werden, Eigentümer der Immobilien müssen beteiligt werden, Vorgaben von oben sind von gestern. Essenziell für die Dörfer sind Gemeinschaftshäuser und ein intaktes Feuerwehr- und Vereinswesen. Wesentlich ist auch eine solide nachhaltige Finanzplanung. Erforderlich sind spürbare Einsparungen bei Personal- und Sachausgaben. Nur so kann der Kraftakt, für die Homberger ein liebens- und lebenswertes Umfeld zu erhalten, bewältigt werden.



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