Mit der kalten Jahreszeit kamen im vergangenen Jahr die Schreckensnachrichten: In zahlreichen Pflegeheimen gab es größere Corona-Ausbrüche, in vielen Fällen forderte das Virus Todesopfer. Nun ist die Ausgangslage in diesem Jahr sicherlich eine andere, denn die Mehrheit der Bewohner ist geimpft und einer Infektion nicht mehr schutzlos ausgesetzt. Dennoch gab es zuletzt wieder vermehrt Meldungen zu Ausbrüchen, Durchbruchinfektionen und Todesfällen aus verschiedenen Regionen Deutschlands. Hierzulande scheint die Lage derweil weiterhin entspannt, von Angst ist nichts zu spüren. »In Hinblick auf diesen Winter habe ich tatsächlich wenig Bedenken«, sagt etwa Marion Brömer, Leiterin des Haus Stephanus in Alsfeld.
Der Grund für Brömers Zuversicht ist die Impfquote in der Einrichtung. So haben von 109 Bewohnern 104 die immunisierenden Spritzen erhalten und auch bei den Angehörigen und Besuchern sei die Quote hoch, so die Leiterin. Noch konfortabler erscheint jedoch die Situation bei den Mitarbeitern. Brömer: »Wir haben bei unserem Personal eine Impfquote von 99,6 Prozent.«
Damit nimmt das Haus Stephanus sicherlich eine Sonderstellung ein. Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass sich die zu Beginn des Jahres sehr niedrige Impfbereitschaft des Pflegepersonals - trotz erheblicher Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen und Einrichtungen - im Laufe des Jahres gesteigert hat. Bei der Kreisverwaltung schätzt man die Impfquote hierzulande auf 80 Prozent.
Ein gutes Beispiel für den Anstieg der Impfbereitschaft ist das Seniorenzentrum »Goldborn« in Homberg. Laut Residenzleiter Ludemberg Pereira-deLima war hier die Impfbereitschaft zu Beginn sehr niedrig gewesen: Beim ersten Besuch des Impfteams im Haus hatten sich gerade einmal 18 der 120 Mitarbeiter impfen lassen.
Nach Auffassung von Pereira-deLima lässt sich das jedoch damit erklären, dass das Pflegepersonal bei der Impfung so frühzeitig an der Reihe war. »Bei unseren Mitarbeitern war die Angst groß, aber das hat sich gelegt«, sagt er. Unter anderem habe das Unternehmen mit Informationsveranstaltungen, Plakaten und Flyern über die Impfung aufgeklärt. »Im Sommer haben dann einige gesagt: ›Okay, ich mache das doch‹«, berichtet Pereira-deLima.
»Und als dann noch rausgekommen ist, dass man aus der Lohnfortzahlung fällt und die Testung Geld kostet, haben sich einige auch noch schnell impfen lassen.« Inzwischen liege die Quote der Ungeimpften beim Personal - ähnlich wie bei den Bewohnern - bei höchstens zehn Prozent.
Eine Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegekräfte, wie sie Italien, Frankreich und Griechenland inzwischen eingeführt haben, hält Pereira-deLima jedenfalls für keine gute Idee. »Ich finde, jeder sollte das Recht haben, selber entscheiden zu können, ob er sich impfen lässt«, sagt er.
Anders sieht das Gabriele Neumann, Direktorin des Kursana Domizils in Mücke, wo aktuell 57 der 63 Mitarbeiter geimpft sind. Ihre Erfahrung: Wer sich am Anfang nicht habe impfen lassen, der mache das jetzt auch nicht. Deswegen hält Neumann eine Impfpflicht grundsätzlich für sinnvoll. »Wer sich impfen lässt, der schützt ja nicht nur sich selbst, sondern auch die ganzen Bewohner«, betont sie und bekommt dabei Unterstützung von Brömer aus Alsfeld. »Auch wenn wir eine sehr hohe Impfbereitschaft haben, hätte ich kein Problem damit, wenn das vorgegeben werden würde«, sagt sie. Schließlich habe man sich früher auch gegen Pocken oder Tetanus impfen lassen. »Und wenn ich irgendwohin fahre und einen speziellen Impfschutz brauche, dann gehe ich zum Arzt und lasse das machen.«
Durch die Tests und deren Abrechnung sowie die anderen Corona-Vorgaben ist der Arbeitsaufwand in den Einrichtungen immer noch höher als gewöhnlich - vor allem jedoch in der Verwaltung. Die Hygieneregeln seien jedoch inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen und alles habe sich gut eingespielt, sagt Pereira-deLima.
»Aber was ich als Einrichtungsleiter jetzt feststelle, sind die Spätfolgen dieser Extremsituation: Meine Mitarbeiter sind wirklich ausgepowert und man merkt, dass die Monate Dezember bis Mai sehr, sehr anstrengend waren.« Dass es seit März keinen Corona-Fall mehr in der Einrichtung gegeben habe, sei da ein großes Glück. Rasch klopft der Einrichtungsleiter auf Holz.
In Alsfeld ist man sogar noch länger verschont geblieben. »Wir waren von Mitte November bis Ende Dezember von Corona betroffen, aber danach nie wieder - Gott sei Dank!«, sagt Brömer. Und sollte man doch einmal einen Fall haben, werde man die infizierte Person künftig von den anderen Bewohnern trennen und Kontaktpersonen identifizieren ohne die gesamte Gruppe zu isolieren.
Das ist in Hessen seit neustem möglich: Statt eines generellen Betretungsverbots können indivuduelle Maßnahmen eingeleitet werden. Brömer begrüßt das. »Bei uns wird es kein Betretungsverbot mehr geben«, betont sie.