»Da fragen wir mal den Ralf.« - Nicht nur im evangelischen Dekanat Alsfeld und dem späteren fusionierten Dekanat Vogelsberg war dies ein geflügeltes Wort. Ralf Müller war seit fast 18 Jahren eines der bekanntesten Gesichter der evangelischen Kirche in der Region: Gerngesehener Gesprächspartner für öffentliche Diskussionen zu verschiedensten gesellschaftspolitischen und kirchlichen Themen, Experte in Flüchtlingsfragen, Unterstützer von Kirchengemeinden bei Fundraising-Aktionen aller Art und als Religionswissenschaftler und Erwachsenenpädagoge auch intern häufig Ratgeber bei vielen Fragen, die sich im Arbeitsalltag bei »Kirchens«, wie er seinen Arbeitgeber gerne nennt, ergeben.
Nun heißt es Abschiednehmen von dem Allrounder, Am 1. Februar tritt Ralf Müller sein Amt als Referent für Flüchtlingsarbeit und -seelsorge der Region Nord der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Gießen an. Vor wenigen Tagen wurde er im Lauterbacher Lichtspielhaus verabschiedet.
Im September 2005 kam er mit seiner Familie in den Vogelsberg. Hier war er die Erstbesetzung der neugeschaffenen Fachstelle Bildung und Ökumene im Dekanat - eine Stelle, die viel Gestaltungsfreiraum bot, den er auch nutzte und von dem sowohl das Dekanat als auch die Kirchengemeinden stets profitierten. Dabei half ihm bis zum heutigen Tag sein Gespür für Themen, die erst noch kommen oder schon anliegen, die die Menschen beschäftigen oder beschäftigen werden.
Erstmals sorgte Müller 2008 mit dem ethischen Börsenplanspiel »Gut und Börse« für überregionale Aufmerksamkeit. Hierbei ging es um die wirtschaftliche Kraft von ethischen Geldanlagen.
Auch die Inhalte seiner Fortbildungsreihe zum »Ehrenamtlichen Flüchtlingsbegleiter (m-w-d)« verteilten sich über ganz Deutschland - und zwar Jahre bevor spätestens 2015 viele helfende Hände benötigt wurden. 2011 war er an der Gründung des Selbstlernzentrums beteiligt, das noch heute aktiv ist. In diesen Jahren fand mit Pro Asyl sowie der Diakonie und der Caritas auch die Beratung für Flüchtlinge in Alsfeld statt, vorübergehend auch in den Räumen des Dekanats. Aus diesem Aufgabenfeld hat Müller nicht nur die vielfach kopierte Fortbildung entwickelt, sondern 2016 auch eine Stelle für Freiwilligenmanagement geschaffen.
Als 2013 in ersten Studien der Vogelsberg perspektivisch totgesagt wurde, entwickelte er mit BIBER eine Fortbildung für die Dorfprojektentwicklung, die mit dem Demographiepreis ausgezeichnet wurde. »In allen Bereichen, in denen ich hier tätig war, habe ich neben dem gesellschaftlichen auch immer den kirchlichen Bezug gefunden und mit eingebracht«, sagt er, dem es stets ein Anliegen war, auch Menschen, die nicht die klassischen Gottesdienstbesucher sind, einzubinden - ganz gleich welcher Religion oder Konfession sie sind, schließlich war er auch Ökumene-Referent. Zum Spezialisten für Fundraising hat er sich nebenberuflich weitergebildet: Mit seinem Wissen und dem Talent, jede noch so kleine Chance zu nutzen, verhalf er nicht nur dem Dekanat zu neuen Stellen, sondern unterstützte zahlreiche Kirchengemeinden, die Geld für einen Turm, einen Fahrstuhl oder eine Komplettsanierung brauchten.
Arbeit im »Danni«
Ebenfalls untrennbar mit Gesicht und Namen von Ralf Müller verbunden ist die Arbeit im Partnerschaftsausschuss der Kerala-Arbeit. Im Rahmen der weltwärts-Aktivitäten war Müller maßgeblich daran beteiligt, dass inzwischen schon drei junge Menschen aus Indien einen einjährigen Aufenthalt in Deutschland absolvieren konnten.
Und wer noch mehr von ihm wissen will, der schaue bei seinem Engagement um das inzwischen in der Region etablierte Kirchenkino oder auch seinem Einsatz für neutrale Beobachtungen bei der Rodung des Dannenröder Forsts nach. »Hier wurden wir als Kirche angefragt«, blickt Müller auf eine aufreibende Zeit im Jahr 2020 zurück, »und waren sowohl Ansprechpartner für die Aktivisten als auch für die Einsatzkräfte der Polizei«.
Für viele Menschen, die sowohl einer Willkommenskultur für Flüchtlinge als auch Aktivitäten im Klimaschutz kritisch gegenüberstehen, war Müller oft ein rotes Tuch: Kommentare im Internet und den sozialen Medien belegen das zuhauf. »Manche Kommentare waren beängstigend«, gibt er zu. Sein Bestreben sei stets gewesen, faktenbasierte Auseinandersetzungen zu führen. »Es gibt immer kontroverse Positionen, die man diskutieren kann«, findet er.