Das laue Lüftchen hat sich längst zum kühlen Herbststurm erhoben. Mit Tränen in den Augen und Verzweiflung in der Stimme wendet sich auf der Bühne am Waldrand Barbara Schlemmer (Bündnis »Keine A 49«) an die zu diesem Zeitpunkt rund 3000 Menschen und erklärt ihren Standpunkt gegenüber Landes- und Bundesregierung, der Autobahnplanungsgesellschaft Deges sowie den Befürwortern der A 49.
Über dem Wald hinter ihr schwebe ein »Todesurteil« und die Demonstranten vom Sonntag seien so eine Art »Lebensversicherung« für den Forst.
Der Hauptadressat ihrer Vorwürfe war die Planungsgesellschaft Deges, »die beim Autobahnbau schnell Meter machen will.« Die Grünen-Politikerin aus Homberg, zu dem Dannenrod gehört, blickte in die Menge, die »Wald statt Asphalt«-Transparente hochhielt und »Buh«-Rufe unter anderem an die Adresse von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sandte.
Schlemmer kritisierte, bei den ersten Rodungsarbeiten im Herrenwald vergangene Woche seien Pressevertreter genauso wie parlamentarische Beobachter von der Polizei daran gehindert wurden, ihre Arbeit zu versehen. Man wolle offenbar vermeiden, zu zeigen, »wie unsere Lebensgrundlagen geschreddert werden.« Sie dankte ausdrücklich den jungen Menschen, »die das hier alles mit ihren Körpern verteidigen.«
Die Fahnen von BUND, »Wald statt Asphalt«, dem Bündnis gegen die A 49, von Fridays for Future und den Naturfreunden wehten im Wind über der Anhöhe, als auch Uwe Hiksch, Bundesvorstandsmitglied der Naturfreunde, eine Verkehrswende und den sofortigen Stopp des Ausbaus der A 49 forderte: »Der Dannenröder Wald ist kein Einzelfall, er steht für die Naturvergessenheit unserer Zeit.« Die Naturfreunde seien bereit, »sich mit allen anzulegen, die diese niedergehende Welt verteidigen.« Man verurteile »die Tatenlosigkeit nach Paris« und fordere »ein naturverträgliches Leben, ohne die Planung den Konzernen zu überlassen.«
Mit Blick von der Tribüne über das Dannenröder Umland erhob auch Olaf Bandt, Bundesvorsitzender des BUND, die Stimme: »Dieser Wald braucht unsere Nothilfe, daher drücken wir unsere Solidarität mit den Menschen aus, die hier zäh und dauerhaft gegen die Rodung kämpfen.« Bandt mahnte am Sonntag zudem schnelle Verhandlungen über ein Moratorium für alle neuen Autobahnen in Deutschland an. Bei der A49 müssten sofort alle Rodungsarbeiten gestoppt werden. Bereits mehrere in Fußballfeldergröße gemessene Bereiche seien jüngst im Herrenwald gerodet worden. Bei Stadtallendorf seien die Harvester den Einsatzkräften der Polizei gefolgt. »Dabei wissen wir, dass eine Planung wie die für die A 49 heute nicht mehr realisierbar wären. Daher ist klar: Baurecht ist keine Baupflicht.« Man müsse den Wald retten und das Trinkwasser für mehr als eine halbe Million Menschen sichern - gerade angesichts der Überreste von Kampfmitteln, die auf dem Grundwasserspiegel unter Stadtallendorf liegen.
Die Demonstranten, darunter einige im selbstbemalten Baumkostüm oder mit Blumenschmuck, skandierten »Danni bleibt« - angelehnt an den Dannenröder Forst, der unmittelbar hinter ihnen mit den Walddörfern der Aktivisten liegt. Ob autonome Wohnformen oder Gleichberechtigung, für viele der Aktivisten ist der Wald inzwischen zu einer Plattform geworden, in der sie neue Ideen für eine solidarische Gesellschaft entwickeln wollen. Auch im Maulbacher Wald haben sich inzwischen Aktivisten niedergelassen. Nur wenige Gehminuten vom Schauplatz der Demo entfernt standen Einheimische später mit Besetzern um drei alte und längst abgestorbene Fichten, die sie zu einem Tripod-Holzgerüst zusammenfügten. Nach dem Bühnenprogramm durfte wieder durch den Dannenröder Wald spaziert werden, wo, so zumindest die Planung, bald ebenfalls Bäume fallen sollen.
Autobahn-Teilstück besetzt - Am Samstag besetzten Aktivisten eine Baustelle auf der Bundesautobahn 49 bei Neuental in Nordhessen. Dazu hatten sie ein Zeltlager und sogenannte Tripods (Holzgerüst) aufgestellt und sie übernachteten auch dort. Hier, am Ende des bereits fertiggestellten Abschnitts der Autobahn, finden seit einigen Tagen wieder Arbeiten für den Weiterbau der Autobahn statt.
Anzeige gegen Gericht und RP - Unterdessen hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof den Protestierern gegen den Autobahnbau Recht gegeben und weitere Verbote aufgehoben - sowohl Übernachtungen als auch Sitzblockaden sind damit erlaubt. Das VGH-Urteil zeige deutlich, dass die Versammlungsbehörde RP Gießen und das Verwaltungsgericht Gießen mit ihrer »Dauer-Verhinderungspraxis komplett neben der offiziellen Rechtsprechung liegen und nur noch politisch motiviert handeln, um den Protest zu erschweren,« so das Versammlungsanmeldetam rund um Jörg Bergstedt (Projektwerkstatt Saasen). Das Urteil sei erneut eine juristische »Klatsche für das Verwaltungsgericht und den RP«. Damit nicht genug. Jetzt muss sich auch die Staatsanwaltschaft Gießen mit dem Fall beschäftigen. Denn es wurde aus dem Versammlungsteam heraus Strafanzeige gegen RP-Verantwortliche und Verwaltungsrichter gestellt, »wegen Rechtsbeugung.«
Proteste gegen die Proteste - Die Bürgermeister der Modellregion Schwalm-Eder-West sowie zahlreiche Anwohner der B 3, die seit Jahrzehnten für den Ausbau der A 49 kämpfen, kritisierten dagegen den anhaltenden Protest gegen den Lückenschluss scharf. Sie betonten am Wochenende bei einer Veranstaltung Pro A 49 geschlossen: Dieser Kampf richte sich nicht gegen die Klimafreundlichkeit, sondern sei »wichtig für die Lebensqualität derjenigen, die sich tagein, tagaus größter Lärmbelastung an der befahrenen Bundesstraße aussetzen müssen«. »Der Protest gegen den Autobahnausbau ist ein Schlag ins Gesicht für uns«, sagte Norbert Heller. Er gehört zur Bürgerinitiative Pro A 49. Über 30 Jahre hätten er und seine Leute für den Lückenschluss gekämpft. Für die Demonstrationen dagegen habe er daher »keinerlei Verständnis«. »Der Verkehr nimmt immer mehr zu, auch durch Corona«, so Sonja Anding, die in Jesberg direkt an der B 3 wohnt. Ohne Dreifachverglasung der Fenster sei »der Lärm nicht auszuhalten«. dpa/HNA/ks