28. Juli 2020, 21:32 Uhr

Wirklich ein Problemwolf?

Reste eines Rehes unter Spielgeräten im Garten, verfolgte Radfahrer und Spaziergänger, gerissene Nutztiere sowie eine Wölfin, die sich direkt in besiedelte Gebiete traut. Das legt für die Einwohner von Unter-Seibertenrod den Schluss nahe, dass die Wölfin auffällig ist. Doch was folgt daraus?
28. Juli 2020, 21:32 Uhr
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Aus der Redaktion
Lagebesprechung zur Wölfin: Landwirt Bernd Weiß, Philipp Geiß, Florian Weiß, Landrat Manfred Görig und Joachim Erbes. Die Wolfsthematik sorgt in Unter-Seibertenrod für Diskussionen. FOTO: PM

Wenn Landwirt Bernd Weiß oder seine Söhne Florian und Jonas aus Unter-Seibertenrod abends zu ihrer Biogasanlage oder zum Mutterkuhstall zur Kontrolle fahren, begleitet sie seit Monaten die Angst vor dem Wolf. Ist es dunkel, lassen sie ihr Auto laufen, das Fernlicht bleibt an und bevor sie das Auto verlassen, überzeugen sie sich davon, dass Wölfin »GW1166F« nicht gerade um ihren Hof streift. Seit dem Frühjahr passiert das oft, die Wölfin ist in Unter-Seibertenrod sesshaft geworden und wird als standorttreu eingestuft.

Bei einem Termin machte sich Landrat Manfred Görig auf dem Hof von Familie Weiß ein Bild von der Lage und traf auch betroffene Anwohner. Vom Wolfsmanagement der hessischen Regierung sind diese nicht überzeugt. Die Landesregierung sei aber in der Pflicht. In Unter-Seibertenrod herrscht Verunsicherung. »Spricht man mit den Menschen, kann man sicher alle zwei bis drei Tage eine Begegnung mit dem Wolf nachvollziehen«, sagt Landwirt Bernd Weiß. Auch seinem Auszubildenden sei am Silage-Platz, direkt an den Wirtschaftsgebäuden und Stallungen außerhalb der Ortslage, die Wölfin über den Weg gelaufen.

»Sie ist so nah an den Menschen - teilweise ist sie bei Tag im Ort unterwegs, das macht uns große Sorge«, schildert Weiß die für ihn und viele Menschen bedrückende Situation. Zwar sei die Wölfin gerade in den Wintermonaten noch öfter in Erscheinung getreten, allerdings gebe das nur bedingt Anlass zur Entspannung.

Problematische Entwicklung

Bernd Weiß betreibt mit seiner Familie einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Direktvermarktung von Rind- und Schweinefleisch. Neben der Verkaufsstelle in Unter-Seibertenrod werden verschiedene Supermärkte beliefert und Wochenmärkte bis ins Rhein-Main-Gebiet angefahren.

Der Ortslandwirt sieht die politischen Entwicklungen zum Thema Wolf als problematisch an. Er sehe sich in zweifacher Hinsicht in der Verantwortung. Zum einen sorge er als Landwirt für das Wohl seiner Tiere, zum anderen sei er als Chef für die Sicherheit seiner Mitarbeiter verantwortlich. »Niemand hat gefragt, ob wir den Wolf hier haben wollen. Wieso bekommen wir es dann aufgebürdet?«, fragt Weiß.

Er sieht die Verantwortung auf die Menschen vor Ort abgewälzt. Den politischen Willen der Landesregierung müsse er umsetzen - unterstützt fühlt er sich nicht.

»Ein rein finanzieller Ausgleich greift zu kurz, und 40 Euro Herdenschutzprämie pro Hektar sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Übrigen kommt sie nicht allen Nutztierhaltern zugute, erhalten sie doch bisher nur Schaf- und Ziegenhalter«, so Landrat Görig. Weidetierhaltung, Pflege der Kulturlandschaft, kurze Produktionsketten oder nachhaltige (Land-)Wirtschaftsformen sehe er von der Anwesenheit des Wolfs bedroht. Denn allein der Mehraufwand, der durch die Anforderungen an Zäune entsteht, sei für viele Betriebe nicht zu leisten - auch nicht mit zusätzlichem Geld. »Wenn sich im Vogelsbergkreis ein Wolfsrudel entwickelt, werden die Probleme erheblich wachsen.« Schon jetzt seien die Menschen verunsichert, sagen Einwohner. Reste eines Rehes unter Spielgeräten im Garten, verfolgte Radfahrer und Spaziergänger, gerissene Nutztiere sowie eine Wölfin, die sich direkt in besiedelte Gebiete traut, legen für die Einwohner den Schluss nahe, dass die Wölfin auffällig sei und sich atypisch verhalte.

Letztendlich gehe es um die Frage, wie viel »Wolf« ein begrenzter Raum verträgt. Mögliche Lösungen könnten Obergrenzen für Wolfsrisse sein, die, wenn sie erreicht sind, die sogenannte Entnahme des Wolfes ermöglichen. »Genauso könnten Untergrenzen für Regionen angesetzt werden: Welchen Raum, welche Ressourcen und welche Voraussetzungen braucht ein Wolf? Kann ein Kultur- und Wirtschaftsraum diese Mindestanforderungen nicht erfüllen, müssen weitere Schritte in die Wege geleitet werden«, so Görig.

Landwirtschaftliche Wirtschaftsweisen stünden mancherorts zur Debatte - Direktvermarktung oder biologische Erzeugung seien sowieso schon mit Mehraufwand verbunden. Die Mehrbelastung im Alltag, die durch ein Wolfsrevier entstehe, stelle viele vor unlösbare Aufgaben.

Klar sei, dass die Menschen im Vogelsbergkreis lernen müssten, mit dem Wolf zu leben, »trotzdem braucht es einen transparenten Umgang zum Beispiel mit Genproben, nachvollziehbare Maßnahmen vor Ort, adäquate finanzielle Unterstützung sowie mehr Handlungsspielraum, sollte ein Wolf Probleme machen«.



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