Ein Raubüberfall ist kein Kavaliersdelikt, und wenn eine Handfeuerwaffe im Spiel ist, schon gar nicht. Ein 66-Jähriger ist angeklagt, zwischen dem 16. Juni und dem 26. November letzten Jahres drei Tankstellen überfallen und dabei Beute in Höhe von insgesamt etwas mehr als 900 Euro gemacht zu haben. Dass die Taten innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums verübt wurden, könnte auf einen abgebrühten, eiskalten Räuber schließen. Ein solches Bild gab der Angeklagte vor der 7. Großen Strafkammer aber wahrlich nicht ab. Der Vorsitzende Richter Heiko Söhnel, Richterin Dr. Kathrin Exler und die beiden Schöffen haben über einen Mann zu urteilen, der nach eigener Schilderung in eine finanzielle Notlage geraten ist, aus der er keinen Ausweg sah und der er durch die Überfälle zu entrinnen hoffte. Um es vorweg zu sagen: Das war keine gute Idee. Seine finanzielle Situation wird sich durch die Straftaten sicherlich nicht unerheblich verschlechtern, seit Ende letzten Jahres sitzt der Mann in Untersuchungshaft, und in gesundheitlicher Hinsicht ist es bei ihm ohnehin nicht zum Besten bestellt.
Gesundheitlich gehandicapt
Der Mann war im Jahre 1989 aus der ehemaligen DDR mit Frau und Tochter über Ungarn geflohen und hier in Mittelhessen sesshaft geworden. Er nahm verschiedene Stellen an, machte sich gegen Mitte der 90er selbstständig, musste aber im Jahre 2002 seinen Betrieb aufgeben. Im Jahre 2006 trennten sich er und seine Frau. Die 1974 geschlossene Ehe wurde 2011 geschieden. Auch in gesundheitlicher Hinsicht verschlechterte sich seine Situation. So ging er in demselben Jahr in den vorzeitigen Ruhestand. Zunächst erhielt er eine Rente in Höhe von 750 Euro, die im Laufe der Zeit auf 800 Euro angestiegen ist. In den ersten Jahren konnte er sich doch mit einem Zusatzverdienst über Wasser halten, doch seine Erkrankung ließ später eine weitere Beschäftigung nicht zu. So erlitt er insgesamt vier Herzinfarkte, den letzten am Tag nach seiner Verhaftung im Spätherbst letzten Jahres.
800 Euro monatlich
Mit 800 Euro monatlich konnte er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten, zumal er allein 400 Euro für die Wohnungsmiete aufbringen musste. Und so kam er auf den Gedanken, mit den Überfällen die finanziellen Lücken zu schließen,. Am 19. Juni betrat mit einem Palästinensertuch vermummt den Verkaufsraum einer Tankstelle in Großen-Linden, bedrohte die Kassiererin mit einer Pistole und ließ sich die Einnahme in Höhe von 550 Euro in eine mitgebrachte Stofftasche packen. Auch die inzwischen eingetroffene Ablösung zum Spätdienst bedrohte er, ehe das Weite suchte, aber nicht ohne mitzuteilen, dass sie nicht frühzeitig den Verkaufsraum verlassen sollen, »sonst gibt es ein Inferno«, wie eine der Kassiererinnen aussagte. Beide Frauen leiden noch immer unter den Überfall; sie waren traumatisiert und befinden noch immer in Behandlung.
Am 25. Oktober hatte sich der Mann eine Tankstelle in Gießen ausgesucht, erbeutete mit vorgehaltener Pistole 356 Euro. Der Kassierer, ein 24-jähriger Student, steckte den Überfall weg und hat keine Folgeschäden. Ohne Beute musste der 66-Jährige das Gelände eines Großmarktes in Großen-Linden verlassen. Auch hier hatte er es auf die Tageseinnahme der Tankstelle abgesehen. Er passte am 26. November den Kassierer ab. Dieser bedeutete ihm aber, dass sich das Geld in einem Tresor befinde, zu dem er keinen Zugang habe. Unverrichteter Dinge fuhr der Angeklagte davon, zunächst verfolgt vom Kassierer, der sich Teile des Kfz-Kennzeichens merkte, ihn aber aus den Augen verlor. Kurz darauf wurde er dingfest gemacht.
Entschuldigung bei allen Beteiligten
Die bei den Überfällen gezeigte Pistole, die der Angeklagte unberechtigt besaß, nachdem er sie vor mehr als 20 Jahren im Frankfurter Bahnhofsviertel samt 60 Schuss Munition illegal erworben hatte, war funktionstüchtig. Der Mann hatte dagegen ausgeführt, dass sie nicht in Ordnung sei. Nicht festgestellt werden konnte, ob bei den Überfällen die Waffe geladen war und ob das Magazin so in die Waffe geschoben war, dass die automatische Selbstladefunktion aktiviert worden war. Vielleicht kann dies am zweiten Verhandlungstag, der für Donnerstag angesetzt ist, geklärt werden. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass sich der Angeklagte bei allen Zeugen, die er mit der Waffe bedroht hatte, entschuldigte.