Die Justus-Liebig-Universität trauert um den Theaterwissenschaftler Prof. Dr. Andrzej Wirth. Der Gründer des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft der JLU ist am 10. März im Alter von 91 Jahren nach kurzer Krankheit in einem Berliner Krankenhaus verstorben.
»Mit seinem Humor und seiner Unangepasstheit hat Andrzej Wirth wirklich verkörpert, welche Freiheiten das Theater, die Kunst und die Ausbildung dazu brauchen. Und mit dieser Haltung hat er für das Institut nicht nur eine visionäre Konstruktion aus Theorie und Praxis entworfen, sondern auch noch weit über seine aktive Zeit hinaus den experimentellen Geist des Instituts geprägt«, so Prof. Heiner Goebbels, Inhaber der Georg-Büchner-Seniorprofessur an der JLU und bis 2018 Geschäftsführender Direktor des ATW-Instituts. »Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, seine Ideen weiterzuverfolgen.«
Andrzej Tadeusz Wirth, 1927 im polnischen Wlodawa geboren, studierte Analytische Philosophie in Lodz und Warschau und wurde in Breslau mit einer Dissertation über Brecht promoviert. Auf Einladung von Bertolt Brechts Berliner Ensemble ging er 1956 für zwei Jahre nach Berlin. Er schloss sich der Gruppe 47 an und wurde als Kritiker, Übersetzer und Herausgeber zum Vermittler zwischen deutscher und polnischer Kultur. 1966 ging er als Gastprofessor in die USA, unterrichtete an der Stanford University und der City University of New York; außerdem erhielt er Gastprofessuren an der Harvard University, in Yale, Oxford und Berlin. 1982 folgte er einem Ruf an die Justus-Liebig-Universität, wo er das erste und bislang einzige Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Deutschland gründete, das er bis zu seiner Emeritierung 1992 leitete. Sein beruflicher Lebensweg ist eng verbunden mit Robert Wilson und Heiner Müller, die er – neben weiteren prominenten Vertretern der internationalen Theaterszene – auch als Gastprofessoren an das Institut nach Gießen holte. 2008 wurde Wirth mit dem »Preis zum Welttheatertag« des Internationalen Theaterinstituts (ITI) ausgezeichnet.
Das von Wirth in Gießen gegründete Institut für Angewandte Theaterwissenschaft ist bundesweit als Schmiede der Theateravantgarde bekannt geworden. Seit er es 1982 gegründet hatte, hatte Wirth keine Hemmungen mehr, sich selbst »ATW« zu nennen, ein Anagramm von Andrzej Tadeusz Wirth. Noch 2015 hatte er den ATW-Studierenden seines ehemaligen Instituts einen Besuch abgestattet. Bei einer Veranstaltung im Rahmen der Werkschau »Theatermaschine« diskutierte er mit ihnen im Festivalzentrum in der Bahnhofstraße. (Foto: Schepp)