27. Februar 2019, 22:04 Uhr

Taufrischer Hörgenuss

Dirigent Werner Ehrhardt hat als gelernter Geiger den Bogen raus. Beim Sinfoniekonzert im Stadttheater präsentiert er vier Raritäten aus dem 18. Jahrhundert. Und wartet mit drei Überraschungen auf.
27. Februar 2019, 22:04 Uhr
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Von Manfred Merz
Der Meister am Pult: Das Lächeln gehört bei Werner Ehrhardt dazu. (Foto: Peuser-Design)

Es ist ein Abend der kleinen Überraschungen. Die erste: Nach der Pause erklingt mit der Ouvertüre des beinahe in Vergessenheit geratenen Joseph Martin Kraus zum Drama »Olympie« von Johan Henrik Kellgren der Höhepunkt des Abends. Obwohl Kraus als Zeitgenosse den Spitznamen »Odenwälder Mozart« erhielt, erinnert die Komposition aus seinem letzten Lebensjahr (1792) mit ihrer Melancholie an Beethoven und mit ihrem Stolz an Haydn. Das dreiteilige Werk beginnt düster, schwingt sich zu einem treibenden Viervierteltakt auf, um danach als Spiegelbild der ersten Hälfte genau so zart wieder zu verklingen.

Barockspezialist und mehrfacher Echo-Klassik-Preisträger Werner Ehrhardt arbeitet am Pult die Dynamik des Stücks fein säuberlich heraus. Zum zweiten Mal führt er nach 2017 das Philharmonische Orchester Gießen auf höchst kurzweilige Art. Der Dirigent wirft am Dienstagabend beim Sinfoniekonzert im ausverkauften Stadttheater einen Blick auf vier Raritäten. Er bietet tiefsinnige Interpretationen von barocken und klassischen Werken des 18. Jahrhunderts.

Die zweite Überraschung: Obwohl Experte für die historisch informierte Aufführungspraxis, lässt Ehrhardt nicht das gesamte Blech auf Naturinstrumenten spielen. Das hätte in den Hörnern schon beim einleitenden Händel, in dem im Gegensatz zur »Wassermusik« selten gespielten Concerto a due cori F-Dur, mit seinen schwierigen Soli womöglich zu Patzern geführt. Stattdessen setzt der Maestro weise auf moderne Hörner mit Ventilen.

So bewältigen die Instrumentalisten das musikalische Streitgespräch zweier kleiner Orchester, das ursprünglich als Pausenfüller für die wuchtigen Oratorien des Barockkünstlers gedacht war, mit sauber formuliertem Elan. Auf Naturtrompeten hingegen besteht Ehrhardt den gesamten Abend über: »Wegen des harmonischen Klangs.« Überraschung Nummer drei: Am liebsten dirigiert der Kölner ohne Taktstock und lässt das Orchester im schnellen Viervierteltakt, etwa im ersten Satz der Sinfonie C-Dur von Mozart-Schüler Anton Eberl (die zu Beginn beinahe als »Haffner«-Sinfonie des Altmeisters daherkommt), die Eins besonders betonen. So nimmt die musikalische Fuhre prächtig Fahrt auf. Dann hebt Ehrhardt in den gegenläufigen, ruhigen Passagen die Zwei hervor, was Synkopencharakter hat und sich als wunderbarer Kontrast zum quirligen Sprint erweist. Ergebnis ist ein taufrischer Hörgenuss alter Musik.

Das gilt auch für »Les Indes galantes«, die erste von insgesamt sechs Ballettopern des Franzosen Jean-Philippe Rameau. Ehrhardt hat für das Stadttheater eine Suite aus der Oper zusammengestellt – exotisch-anmutige Impressionen eines tiefgründigen Barockpoeten. Das Orchester folgt während des ganzen Konzerts seinem Dirigenten punktgenau, die zahlreichen kleinen Soli tragen das Herz an der richtigen Stelle, das Ensemble weiß um die Akustik des Großen Hauses, die wie gemacht und dankbar ist für die mittlere Besetzung. Langer ausgiebiger Applaus am Schluss. Als Zugabe gewährt Ehrhardt dem Publikum noch einmal das Rondo aus der Rameau-Suite.



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