Zu der Veranstaltung, mit der die Partei die heiße Phase des Bundestagswahlkamfs in Hessen eingeläutet hat (siehe auch Seite 3), kamen rund 600 Besucher auf den Schiffenberg. Als prominente Gäste konnte Moderator Gerhard Merz unter anderem Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sowie den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck begrüßen.
»Ohne Betriebsräte hätten wir heute viele Arbeitsplätze gar nicht mehr. Außerdem haben wir bei Arcandor gerade gesehen, was passiert, wenn Gewerkschaften und Betriebsräte entmachtet werden. Die Mitarbeiter erhalten keine Abfindung, der Manager dagegen 15 Millionen Euro«, sagte Beck, der in einer kämpferischen Rede auf die Bedeutung der Mitbestimmung für die gesamte Gesellschaft hinwies. Die Fleißigen dürften nicht die Dummen sein, ergänzte der frühere SPD-Bundesvorsitzende und betonte, dass gerade Betriebsräte und Gewerkschaften eine wichtige Rolle für das gesellschaftliche Gleichgewicht spielten. Dies dürfe in keinem Fall verschoben werden, da sonst die Gemeinschaft als Ganze in Gefahr sei, sagte der SPD-Politiker, der einräumte, dass bei einem Wahlsieg von CDU/ CSU und FDP zwar nicht »die Welt unterginge«. Die Republik würde jedoch eine andere, was Beck anhand jüngst bekannt gewordener Pläne des Bundeswirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) illustrierte.
Zu Guttenberg beabsichtige unter anderem, den Kündigungsschutz zu lockern, und das, so der Ministerpräsident, könne in Deutschland zu einer »Hire-and-Fire«-Mentalität führen. Besonders für junge Menschen käme dies einer Katastrophe gleich, denn gerade sie benötigten berufliche Sicherheit, um Familien gründen zu können. Darüber hinaus müsse gute Bildung für jedermann erschwinglich sein, forderte der Politiker. Dies bedeute auch, Kindergartenplätze beitragsfrei anzubieten. In Rheinland-Pfalz könnten Familien so bereits ab diesem Herbst pro Kind rund 750 Euro im Jahr sparen. Die Union lehne dieses Konzept jedoch strikt ab, so dass Eltern in Hessen noch immer für Kindertagesstätten zahlen müssten. Zudem dürften Studiengebühren nicht vom Studium abhalten.
Zuvor hatten bereits die designierte Landrätin Anita Schneider, Gießens künftige Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz, Zypries und Wieczorek-Zeul in kurzen Interviews ihrem Gesprächspartner Michael Roth, Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär der hessischen SPD, Rede und Antwort gestanden. Zypries, die in Gießen Jura studiert hatte, betonte, keinesfalls dürfe die Bundeswehr in Deutschland eingesetzt werden. Wieczorek-Zeul forderte klare Regeln in einer globalisierten Welt. Man müsse aus der aktuellen Wirtschaftskrise lernen und unter anderem Steueroasen austrocknen. Dabei gewonnene Mittel könnten für die Bekämpfung des Hungers oder den Klimaschutz eingesetzt werden.
Schneider sagte, 90 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts sei die Zeit dafür gekommen, dass Frauen in der Politik auch Führungsämter einnähmen. So auch Grabe-Bolz, die ein Ende der »Monokultur« forderte. Politische und wirtschaftliche Leitungspositionen müssten paritätisch mit Männern und Frauen besetzt werden.
Rüdiger Veit wies in seiner Rede zu Beginn der Veranstaltung darauf hin, dass es bei der anstehenden Wahl nicht um »Kalbsschnitzel im Kanzleramt«, sondern um eine gerechte Verteilung des Reichtums gehe. Schäfer-Gümbel erklärte, dass die Wähler am 27. September zu einer Richtungsentscheidung aufgerufen seien. Er bezeichnete die von CDU/CSU und FDP versprochenen Steuersenkungen als größtes »Volksverdummungsprogramm« der letzten Jahre.
Mit Beifall begrüßt wurde von den versammelten Sozialdemokraten aus ganz Hessen die frühere Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti. Sie trat nicht ans Mikrofon, doch etliche Besucher gingen zu ihr, um ihr aufmunternd auf die Schulter zu klopfen oder um ein Autogramm zu bitten.
Das bunte Rahmenprogramm des Festes gestalteten die »1. Original Wallenröder Dicke-Backe-Kapell« mit schwungvoller Blasmusik, die Gießener Trommlergruppe »Die Erde«, Clown Ichmael und das »Duo Impossibile« aus Wetzlar. An Ständen informierten unter anderem die Diakonie, die IG Metall oder der Ausländerbeirat des Kreises über ihre Arbeit, für die Kleinen waren Spiele aufgebaut. Es gab Freibier vom Fass, hessische Spezialitäten und eine Tombola.
Am Rande der Veranstaltung protestierten Mitglieder der Piraten-Partei gegen das »Zugangserschwerungsrecht«. Mit dem neuen Gesetz werde »Internet-Zensur möglich«, sagte Christoph Erle und erklärte, seine Partei wolle im September in Gießen einen Kreisverband gründen.