07. Mai 2019, 06:00 Uhr

Gießener Start-up

Handydolmetscher: So will ein Gießener Start-Up die Branche umkrempeln

Dolmetscher haben in Gießen viel zu tun. Vor allem seit der Flüchtlingswelle. Ein Gießener Start-up will die Branche nun revolutionieren.
07. Mai 2019, 06:00 Uhr
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Von Christoph Hoffmann
Das Gründerteam um Segen Etbarek (M.) sowie Frank und Rojan Melchior will mit ihrer App schon bald an den Start gehen. (Foto: Schepp)

Was heißt »Dokument« auf kurdisch? Oder auf tigrinisch? Rojan Melchior und Segen Etbarek wissen das. Kein Wunder, schließlich werden diese Sprachen in ihrer Heimat gesprochen. Die Kurdin Melchior und die Eritreerin Etbarek haben in den vergangenen Jahren etliche Male für ihre Landsleute ins Deutsche übersetzt.

Denn als 2015 die Flüchtlingswelle nach Gießen schwappte, wurden plötzlich händeringend Dolmetscher gesucht. »Wir haben das neben dem Studium gemacht«, erzählt Etbarek und erhält von Melchior ein zustimmendes Nicken. »Es hat aber auch viele Probleme gegeben. Wir wurden zum Beispiel nicht immer bezahlt.« Hinzu käme, dass viele Aufträge sehr kurzfristig eingegangen seien, sagt Melchior. »Manchmal wurde ich angefragt, ob ich in zehn Minuten zu einem Termin in Gießen kommen könnte. Leider musste ich absagen, da ich in Frankfurt war.« Zusammen mit ihrem Ehemann Frank Melchior und der Kommilitonin Etbarek überlegte sie, wie man die Situation der Übersetzer verbessern kann. Herausgekommen ist »dolspot«.

 

Handydolmetscher-Start-Up aus Gießen: In Echtzeit und HD

Dabei handelt es sich um ein selbstentwickeltes Video-Konferenzsystem, mit dem Dolmetscher an Gesprächsrunden teilnehmen können, ohne anwesend sein zu müssen. Geschäftsführer Frank Melchior erklärt, wie das im Detail aussehen soll. Demnach können sich Übersetzer nach Vorlage eines Führungszeugnisses und Nachweisen der Berufserfahrung bei der App anmelden. Wenn ein Kunde, zum Beispiel eine Behörde, einen Dolmetscher braucht, kann er die benötigte Sprache in der App eingeben. Die darauf spezialisierten Übersetzer erhalten eine Nachricht und können ihre Bereitschaft erklären. Der Kunde wählt im Anschluss einen geeigneten Dolmetscher aus. »Dieser erhält einen Link und kann so zu einer HD-Videokonferenz eingeladen werden«, sagt Frank Melchior. Der 27-Jährige betont, dass die Übersetzungen bei Wunsch selbstverständlich auch vor Ort vorgenommen werden können. Nach geleisteter Arbeit kann der Kunde den Dolmetscher bewerten und auf diesem Wege weiteren Kunden die Auswahl erleichtern. Derzeit werden auf der Homepage von »dolspot« 45 Sprachen und Dialekte aufgelistet, darunter viele seltene wie Pashto, Sorani, Igbo oder Farsi. Im Laufe der Zeit sollen weitere hinzukommen.

 

Handydolmetscher-Start-Up aus Gießen: Nicht nur Behörden im Fokus

Frank Melchior betont, dass bereits einige Institutionen Interesse angemeldet hätten, darunter auch der Landkreis. »Viele Behörden sind auf einige wenige Übersetzer angewiesen, vor allem bei seltenen Sprachen. Durch unsere Lösung fallen für die Dolmetscher die Anfahrten weg, sie müssen also nicht in Gießen sein, um den Job wahrzunehmen.« Wenn im Rathaus beispielsweise dringend eine Übersetzung der äthiopischen Sprache Oromo benötigt werde, könne dies auch ein Dolmetscher aus Frankfurt übernehmen.

Segen Etbarek sieht darin einen riesigen Vorteil für die Branche. »Ich bin selbst sehr viel herum gefahren, zum Beispiel nach Frankfurt oder Herborn«, sagt die Übersetzerin für Tigrinya. »Durch die Videozuschaltung wird das nun überflüssig.«

Frank Melchior fügt hinzu, dass mit der Echtzeitvermittlung vor allem Behörden angesprochen werden sollen. Er sieht aber auch viele weitere Einsatzgebiete: Arztpraxen etwa, oder Rettungswagen. »Bestenfalls kann der Sanitäter innerhalb weniger Minuten herausfinden, was dem Patienten fehlt.«

Noch ist die Arbeit am Videosystem eine Nebentätigkeit für die Gießener. Während die Frauen gerade ihr Studium abgeschlossen haben, arbeitet Frank Melchior für ein Smartphone-Unternehmen. Wenn die Nachfrage nach »dolspot«, das im Sommer an den Start gehen soll, groß genug ist, will sich das Trio hauptberuflich der Dolmetscher-App widmen. Die Gründer sind überzeugt, dass aus ihrer Idee ein Erfolg werden kann. Frank Melchior gibt schon einmal ein ambitioniertes Ziel vor: »Wir wollen das größte Dolmetscherbüro Deutschlands werden.«



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