Gießener Mieterverein: WGs treiben Mietpreise nach oben
1600 Euro Kaltmiete für eine Vierzimmerwohnung mit 100 Quadratmetern - in Gießen Realität. WGs sind eine Bedrohung für den Wohnungsmarkt, sagt der Vorsitzende des Gießener Mietervereins.
21. Februar 2018, 11:00 Uhr
Von Christoph Hoffmann
Foto: schepp
Herr Kaisers, haben Sie selbst schon einmal in einer WG gelebt?
Stefan Kaisers: Ja. Das war während meines Studiums in Darmstadt. Das Studentenwerk hatte gerade ein neues Studentenheim auf WG-Basis gegründet. Ich habe dort ein Jahr in einer Einheit für fünf Studenten gewohnt.
Kaisers: Gut. Wir konnten unsere WG selbst zusammenstellen und auch bei einem Auszug die Nachmieter frei wählen. Das ist sinnvoll, damit keine Zusammenstellung von Leuten entsteht, die nicht miteinander können.
Stefan Kaisers kennt die Vorteile von WGs, aber auch die Nachteile. (Foto: Schepp)
Hat der Gießener Mieterverein häufig mit WG-Bewohnern zu tun, die nicht miteinander können?
Kaisers: Wir haben eine Reihe von Mitgliedern, die in einer WG wohnen und uns konsultieren, wenn sie Probleme haben.
Was sind das für Probleme?
Kaisers: Das klassische Problem ist Streit zwischen der Wohngemeinschaft und dem Vermieter, zum Beispiel wegen der Lautstärke oder der Nebenkostenabrechnung. Dann gibt es aber auch Konflikte, die innerhalb der WG entstehen. Zum Beispiel, wenn der Hauptmieter nicht mehr mit einem Bewohner auskommt und ihn raushaben will.
Also beraten Sie auch bei klassischen WG-Problemen?
Kaisers: Ja, allerdings sind uns da Grenzen gesetzt. Wir dürfen zum Beispiel nicht ein Mitglied gegen das andere beraten.
Der Hauptmieter hat von den Untermietern Geld kassiert, es dann aber nicht beim Mieter abgeliefert, sondern in die eigene Tasche gesteckt
Stefan Kaisers
Kommt es vor, dass ein Hauptmieter selbstgewählte Mietpreise von seinen Mitbewohnern verlangt?
Kaisers: Ja. Noch schlimmer ist es aber, wenn der Hauptmieter seiner Verpflichtung nicht nachkommt, die Miete an den Vermieter weiterzugeben. Diesen Fall hatten wir schon. Der Hauptmieter hat von den Untermietern Geld kassiert, es dann aber nicht beim Mieter abgeliefert, sondern in die eigene Tasche gesteckt. Dann haben die Untermieter ein echtes Problem, weil sie vom Vermieter in Regress genommen werden können. Das kann so weit gehen, dass es eine gerichtliche Auseinandersetzung gibt.
Raten Sie WGs daher ab, nur einen Hauptmieter im Vertrag festzuhalten?
Kaisers: Ja. Es ist immer besser, wenn jeder Bewohner als Mieter im Vertrag steht.
Ein Mieterwechsel ist also die bequemste Methode, an der Mietpreisschraube zu drehen
Stefan Kaisers
Welche Rolle spielen WGs auf dem Gießener Wohnungsmarkt?
Kaisers: Wir haben hier seit Jahren eine angespannte Wohnungssituation. Da es zu wenige kleine bezahlbare Wohnungen gibt, bleibt vielen Studenten nichts anderes übrig, als in eine WG zu ziehen. Das führt nach unseren Erkenntnissen nach dazu, dass die Mietpreise nach oben getrieben werden. Wir hatten zum Beispiel schon den Fall, dass eine Vierzimmerwohnung mit 100 Quadratmetern zu einer Kaltmiete von 1600 Euro angeboten worden ist. Eine Vierer-WG kann das noch stemmen, aber so gut wie kein Einzelmieter. Makler raten Vermietern daher häufig, an WGs zu vermieten. Zum einen können sie einen höheren Mietpreis verlangen, zum anderen ziehen die Bewohner meist nach sechs, acht Semestern wieder aus. Und wenn neue Mieter kommen, kann der Vermieter einen höheren Mietpreis ansetzen. Ein Mieterwechsel ist also die bequemste Methode, an der Mietpreisschraube zu drehen.
Welche Folgen hat das für die Bürger?
Kaisers: Sie können sich die Wohnungen nicht mehr leisten und müssen ins Umland ziehen. Das ist ein schleichender Prozess der Gentrifizierung, also der sozialen Verdrängung. Die zahlungskräftigeren Mieter vertreiben die zahlungsschwächeren.
Wenn die WGs ein Problem für den Wohnungsmarkt sind, was ist die Lösung?
Kaisers: Es gibt enorme Versäumnisse des Staates, der die Bildungs- und Studienangebote in Deutschland in den vergangenen 15 bis 20 Jahren ausgeweitet, aber die Wohnheimversorgung nicht mit angepasst hat. Wir rennen der Entwicklung hinterher. In Gießen leben noch nicht einmal zehn Prozent in Studentenwohnheimen. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie keinen Platz finden. Die Wartelisten sind endlos lang. Da wäre etwas zu tun. Es müsste mehr Wohnraum speziell für Studenten geschaffen werden.
Wir lehnen WGs nicht ab. Wir weisen nur darauf hin, dass sie gravierende Auswirkungen auf Wohnungsmarkt und Mietpreise haben
Stefan Kaisers
Auf der anderen Seite können WGs sehr prägend sein, Sie selbst haben das erlebt...
Kaisers: Wir sind ja keine Gegner der WG. Sie ist ein gutes Modell, um sich ins Studium einzufinden und Freundschaften zu schließen. Man hat Gemeinschaft und kann abends den Frust beim WG-Partner loswerden. Wir lehnen WGs nicht ab. Wir weisen nur darauf hin, dass sie gravierende Auswirkungen auf Wohnungsmarkt und Mietpreise haben.