Dr. Wolfgang Heilmann aus Rodheim-Bieber geht in den Ruhestand. Rund 40 Jahre lang hat der Arzt seine Patienten betreut, jetzt ist Schluss. Zufrieden blickt der Allgemeinmediziner auf diese lange Zeit zurück: Visionen, Glück, Beharrlichkeit, das Gespür für Chancen und den Mut, sie zu nutzen, um am Ende mit Phil Collins sagen zu können, »against all odds« (gegen alle Widrigkeiten). So sieht sich Wolfgang Heilmann im Rückblick. 71 Jahre alt ist der gebürtige Langgönser. Jetzt hat er den Rezeptblock, Stethoskop und Otoskop und all die anderen praxisrelevanten Utensilien an den sprichwörtlichen Nagel gehängt und die Arztpraxis an seinen Nachfolger übergeben.
Als Beatles-Fan bemüht er deren Song »The long and winding road«, um seine eigene lange, gewundene Wegstrecke zu beschreiben, die im Februar 1978 begann: Als einer der jüngsten niedergelassenen Ärzte Deutschlands begann er nach dem medizinischen Staatsexamen in Würzburg und Gießen sowie der Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin in den Räumen der alten Praxis seines Vorgängers Dr. Klaus Cramer zu wirken. Mit einem verschmitzten Lächeln, das es nicht leicht macht, Glaubwürdigkeit von verstecktem Humor zu unterscheiden, brachte er dann jene Palme auf den Malediven ins Spiel, unter der er lag: »…als ich eine Vision hatte«. Nach der Rückkehr vom Urlaub begann das Projekt »Praxisausstattung« - und die Bilder dieser Vision nahmen konkret Gestalt an.
Funktionell und ästhetisch sind die Räume in Rodheim, und so perfekt, dass auch nach vier Jahrzehnten nichts verändert und renoviert werden musste. Heilmanns Vorstellung von stil- und geschmackvoll harmonierte auch mit dem, was in Teilen den Praxisschmuck ausmacht, den Patienten selber aussuchen und bestimmen durften. Der Landarzt schaffte es mit diesem Gesamtkunstwerk einst bis ins ZDF-Gesundheitsmagazin Praxis. Die Moderatoren sprachen damals von einer »Traumpraxis«.
Erneut huscht ein schelmisches Lächeln über das Gesicht des Neu-Ruheständlers, als er sich erinnert, dass ihm von den Standesvertretern Kritik widerfuhr, weil er zerfledderte Zeitschriften wie »Wild und Hund« gegen die neueste Ausgabe des Playboys ausgetauscht hatte. Der Radius des Einzugsbereichs seiner Patienten reicht über 800 Kilometer. Das habe aber nichts mit dem Playboy zu tun, beteuert Heilmann, der ohnehin nicht mehr zum Lesezirkel im Wartezimmer gehört.
Stolz nennt der Rodheimer die Zahl 400 000. So immens ist nach seinen Aussagen die Kilometerleistung, die sich bei den ungezählten Hausbesuchen in 40 Jahren summiert habe. Zehnmal um den Erdball - das ist in der Tat rekordverdächtig.
Der Allgemeinmediziner lobt seine »alte Garde«, wie er sein Praxisteam nennt, und würdigt die Verdienste der Damenriege, die Teil des »Paradieses« waren: Absolute Professionalität, keine Entlassungen in dieser Zeit, keine Abmahnungen, keine arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen.
Den Landarzt kannten seine Patienten bei den Hausbesuchen immer in chickem Outfit und vor allem mit seinen Nobelkarossen. Damit hält er nicht hinterm Berg: Genialität bescheinigt er den Machern von Alpina, AMG, Porsche, Ferrari, Maserati und Bentley, denn die über 400 000 Kilometer schaffte er mit diesen Boliden ohne den kleinsten Kratzer. Sie standen vor seiner Praxis, wurden nicht versteckt, weil sie Teil des Gesamten waren; der Mediziner hat da eine ganz eigene Philosophie: Die Liebe zur Perfektion schließt die zweitbeste Lösung aus.
»Die schönen Tage von Aranjuez« (Spielfilm von Wim Wenders) - jetzt sind sie Vergangenheit. Heilmann liebte seinen Beruf und die Medizin. Sechs-Tage-Woche über 40 Jahre lang, und immer nah am Patienten, die ihn schätzten, weil sie seine Empathie spürten und von seiner ärztlichen Kunst überzeugt waren. Zu großem Dank verpflichtet sei er all jenen dieser vielen Patienten aus allen sozialen Schichten, die ihm auch in schwierigen Zeiten Treue und Vertrauen geschenkt hätten. Dies gelte ohne Einschränkung auch für seine juristischen Berater, die am »drehbuchgerechten Happy End Anteil hatten«, wie er es formuliert.
Die Zukunft heißt für ihn, weg von der Medizin - und er lacht schon wieder: »Vielleicht Fortbildung in Papua-Neuguinea, Voodoo in Haiti oder Schamanentum am unteren Nil, oder ich schreibe meine Memoiren, aber wer wird das alles glauben?«
Vielleicht sein Nachfolger, Uwe Richard Mathes. Der gebürtige Kölner wohnt mit seiner Frau, die eine Tierarztpraxis in Mudersbach betreibt, und den beiden Kindern, in Frankenbach. Er führt die Praxis seines Vorgängers Heilmann mit dem Kundenstamm und »altem« Personal in der Rodheimer Sonnenstraße weiter.