Herr Haas, der Ton in der politischen Auseinandersetzung scheint in den vergangenen Jahren rauer geworden zu sein, auch auf lokaler Ebene. Teilen Sie diesen Eindruck?
Dirk Haas : Ja, eindeutig. In der politischen Auseinandersetzung kann man es ja noch verstehen. Das Problem ist eher, dass aus der Bürgerschaft heraus teils mit wenig Vernunft vorgegangen wird. Man fragt gar nicht danach, worum es geht und wie man ein Problem lösen könnte, sondern schimpft einfach nur. Es gibt da kaum Chancen, mit Argumenten an die Menschen heranzukommen.
Sie sagen »die Menschen«. Ist dieses Schimpfen auf die Politik aus Ihrer Sicht weit verbreitet?
Haas: Es sind häufig die gleichen. Ich kenne mittlerweile die zehn, 15 Leute hier in Buseck, die in den sogenannten sozialen Medien aggressiv unterwegs sind. Das ist einfach nervig, und diese Menschen stecken andere an. Mitunter werden Themen, die eigentlich mit ein, zwei Sätzen zu erklären wären, bis ins Unendliche aufgebauscht. Da kommt man dann plötzlich von einem Thema auf ein ganz anderes.
Haben Sie ein Beispiel?
Haas: Wir hatten neulich ein Problem mit einer defekten Gasleitung - doch dann richtet sich die Diskussion bei Facebook unter diesem Post gegen Greta Thunberg. Wie funktionieren da die Gedankengänge bei den Menschen? Wenn Fragen und Beschwerden aufkommen, versuche ich immer, sachlich zu argumentieren und zu sagen: Da arbeiten wir dran. Aber das fällt manchmal schon schwer.
Apropos Greta Thunberg: Wenn man sich bei Vereinen oder in der Kommunalpolitik umschaut, scheint es um das Engagement junger Menschen schlecht bestellt zu sein. Andererseits erleben wir mit »Fridays for Future« eine weltweite Protestbewegung junger Menschen. Wie passt das zusammen?
Haas: Die jüngeren Generationen sind nicht mehr so vereinsaffin. Sie wollen sich für Projekte engagieren, die zeitlich und von der Ausprägung her überschaubar sind. Sie wollen nicht zum Weihnachtsfeier-Kuchenbacken; wollen keine Verpflichtungen eingehen, die sie in ihrem Privatleben beschränken. Daraus ergibt sich, dass traditionelle Vereine und Parteien weniger attraktiv sind.
Bei einer Baumpflanzung an der Busecker Gesamtschule sagten Sie, man müsse manchmal Regeln überschreiten, um auf sich aufmerksam zu machen. Wie war das gemeint?
Haas: Was die aktiven Jugendlichen momentan machen: Sie verstoßen gegen das Regelwerk, dass sie schulpflichtig sind. Ich finde das an dieser Stelle okay. Auch während meiner Jugend sind wir zu Zeiten demonstrieren gegangen, wo eigentlich Schulunterricht angesagt war. Wir haben gegen Atomwaffen hier in der Region protestiert, gegen den NATO-Doppelbeschluss und für bessere Schulausstattung. Es war damals normal, dass man natürlich dann streikt, wenn Schule ist. Wenn Erwachsene, die jetzt über die Demos freitags während der Schulzeit schimpfen, um eine Lohnerhöhung kämpfen, machen sie diesen Streik ja auch nicht am Wochenende.
Wir waren vorhin bei rauen Debatten. Bevor Sie Bürgermeister wurden, waren Sie Kreis-Integrationsdezernent. Inwiefern gab es da Anfeindungen?
Haas: Bis vor vier Jahren war ich beim Landkreis für den Bereich Migration zuständig, da hatte ich andere Probleme als heute. Da gab es - nicht im Internet, sondern wirklich mit Papier - handfeste Drohungen. Das hat sich jetzt geändert, im Moment erlebe ich das nicht. Was man aber merkt, ist die stärkere Nutzung von Facebook, um Missstände oder vermeintliche Missstände anzuprangern, ohne auf die sachliche Ebene zu gehen.
Haben Sie nach den konkreten Drohungen Anzeige erstattet?
Haas: Ich habe keine Anzeige erstattet, es aber an die Polizei weitergegeben. Ich bin damals im Lumdatal ab und zu bei Demonstrationen für ein buntes Lumdatal aufgetreten. Das hat manchen Leuten nicht gefallen. Es war für mich noch kein Problem, solange die Drohbriefe auf Kreisebene kamen. Schwierig wurde es dann, als es zu Hause bei mir gelandet ist. Dann weiß man, dass derjenige, der so was schreibt, bei einem vor der Haustür stand.
Das klingt bedrohlich.
Haas: Ja, aber es ist abgeebbt. Die Situation im Lumdatal hat sich verbessert, da ist viel gemacht worden. Die damals so agierenden Personen sind wohl mittlerweile auch nicht mehr aktiv. Da hatten wir viel Bewegung drin mit der »Identitären Bewegung«, wie man ja an Aufklebern gesehen hat. Das ist momentan nicht so problematisch, aber es ist ein Punkt, auf den man immer achten muss. Wir sind froh, dass die Kommunen im Lumdatal mit Buseck und Reiskirchen die Initiative »Dabeisein« jetzt weiter vorwärts bringen. Ich denke, das stärkt auch den Zusammenhalt des Nordkreises.
Als im Mai im Bauausschuss der Kita- und Schulneubau in Alten-Buseck Thema war, haben etliche Anwohner ihre verständlichen Bedenken laut vorgebracht. Sie als Bürgermeister sagten: »Ich gebe jetzt keine Antworten mehr, bis man mich ausreden lässt.« Erleben Sie das häufiger?
Haas: Das passiert immer dann, wenn es sehr emotional wird. Ich kann mit Argumenten gut umgehen. Und auch mal falsch liegen, das muss man dann zugeben. Aber wenn man gar nicht mehr die Chance hat, Argumente vorzubringen, und es nur noch emotional wird, dann hat das eigentlich in so einer Sitzung nichts verloren. Wir haben jetzt sehr viel Aufwand betrieben, um in Alten-Buseck die Verkehrssituation neu zu ordnen. Es wird für alle besser werden. Trotzdem gibt es wahrscheinlich wieder die gleichen Proteste dagegen. Das verstehe ich dann nicht.
Immerhin interessieren sich Menschen in solchen Fällen für die Kommunalpolitik.
Haas: Zu den meisten Sitzungen kommen ja keine Zuhörer. Wenn Sie eine Sitzung haben und die Anwesenden kommen wegen des ersten Tagesordnungspunktes, dann gibt es danach vielleicht noch fünf wichtige Themen - und die Leute sind trotzdem weg. Ich habe das auch schon bei Ortsbegehungen gemerkt: Wenn der Weg nicht an dem Objekt vorbeiführt, wegen dem man gekommen ist, dann geht man heim und guckt sich nicht mehr den Rest an. Das ist einfach egoistisch. Man muss in einem Dorf miteinander über alles reden - nicht nur, wenn es vor der eigenen Haustür ist.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, um Debatten zu versachlichen?
Haas: Ich lade sowohl im realen Leben als auch im virtuellen Raum immer dazu ein, zu mir zu kommen und mit mir zu sprechen.
Wird das wahrgenommen?
Haas: Die Personen, von denen ich eben sprach, kommen dann leider nicht, andere gern und oft. Meine Bürgersprechstunde wird regelmäßig gut gesucht. Man kann dann kleine Lösungen auch gleich stricken - oder sagen: Das geht nicht. Von Angesicht zu Angesicht, das ist ein Weg, wo man gut miteinander umgehen kann. Aber diese ewige Facebook-Hinterherschreiberei - das nervt mich. Es kostet unendlich Zeit und bringt selten vernünftige Ergebnisse. Wir in der Gemeindeverwaltung nutzen Facebook als Informationsmedium. Aber die Diskussionen über diesen Weg, statt sich direkt anzusprechen, das ist schwierig. Zusammensetzen, überlegen, das bringt einen weiter.
Fällt es Ihnen schwer, abends abzuschalten?
Haas: Es gibt Kollegen, die können heimgehen und in Ruhe schlafen. Ich kann das so nicht, nehme vieles mit nach Hause. Aber das weiß man, wenn man sich um diesen Job bewirbt.