Das Urteil lag nur knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft: Zwei Jahre und drei Monate Gefängnis für gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - mit einem harten Urteil wartete am Mittwoch das Alsfelder Schöffengericht im Fall »Ella« auf. Ihr Verteidiger hatte Freispruch gefordert. Die junge Frau wurde verurteilt, weil sie bei der Räumung eines Baumdorfs im Dannenröder Wald einem Polizisten ins Gesicht getreten und einem anderen einen Kniestoß versetzt hatte.
Damit folgte das Schöffengericht unter der Leitung von Dr. Bernd Süß weitgehend der Forderung von Staatsanwältin Fischer, »Ella« für zwei Jahre und sechs Monate zu inhaftieren. Verteidiger Tronje Döhmer hatte auf Freispruch plädiert, weil die Tritte nicht nachgewiesen seien und ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht vorliege. Gegen das Urteil protestierten einige Besucher im Saal des Amtsgerichts, die von der vorsorglich herbeigeorderten Polizei herausgebracht wurden. Die Beamten bildeten dann eine Kette vor der Tür des Amtsgerichts. Wenige Meter entfernt zeigten sich Umweltaktivisten an einer Mahnwache erschüttert über die Höhe des Urteils.
Vor den Plädoyers hatte Verteidiger Döhmer weitere Beweisanträge eingebracht. So sollten Videoaufnahmen gesichtet werden, in denen gezeigt wird, dass Hubsteiger in der Nähe waren, mit denen ein gefahrloses Herunterholen der Aktivistin möglich gewesen sei. Zudem wollte er aufzeigen, dass ein heraufgekletterter Polizist die junge Frau mit einer Schlinge derartig an einem Ast festband, dass sie in einen gefährlichen Schockzustand hätte kommen können.
Polizisten berichten von Tritten an Kopf
Nach einer Sitzungsunterbrechung hielt die Staatsanwältin ihr Plädoyer. Darin forderte sie eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Widerstands gegen Polizisten. Es gebe »keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der eingesetzten Polizisten«. Sie hätten von einem Tritt gegen den Kopf und einem Kniestoß berichtet. Die Angeklagte habe feste Wanderschuhe getragen, die ein gefährliches Werkzeug darstellten. Dabei sei ein Polizist nicht doppelt gesichert gewesen, und habe Todesangst gehabt.
»Die Polizeibeamten haben einfach nur ihre Arbeit gemacht«, sagte sie. Der Einsatz sei rechtmäßig erfolgt, es habe eine Allgemeinverfügung des Forstamts Romrod gegeben, und es seien Platzverweise ausgesprochen worden.
Die Angeklagte habe zur »rücksichtslosen Durchsetzung eigener politischer Vorstellungen« gehandelt, sagte Fischer. Mit den Taten sei sie »knapp an einem Totschlagsdelikt vorbeigeschrammt«. und habe hohe kriminelle Energie gezeigt. Und sie sehe das Unrecht nicht ein.
Verteidiger Döhmer sah ein »durch und durch politisches Verfahren«. Eine solche Strafforderung sei in einem derartigen Fall außergewöhnlich. »Das Verfahren soll abschreckend sein durch besonders harte Strafen.«
Dabei gebe es Widersprüche, die nicht berücksichtigt worden seien. So hätten Videoaufzeichnungen der Polizei keinen einzigen Treffer gegen die Beamten festgehalten. Das Attest eines Beamten habe den Vorfall auf den Tag nach der betreffenden Aktion im Dannenröder Wald datiert. Es seien bei den Ermittlungen nur die Beamten befragt worden.
Die Staatsanwaltschaft habe aus politischen Gründen keine entlastenden Dinge ermittelt, bemängelte Döhmer. Das sei bei Aussagen von Polizisten besonders wichtig. »Es gibt keinen Berufszweig, in dem mehr gelogen wird als bei der Polizei«, wie Untersuchungen belegten. Der Verteidiger kons-tatierte, es gebe keine Anhaltspunkte für Tritte und den Kniestoß gegen die Beamten. Die Darstellung der Polizisten lasse sich nicht belegen.
Die Spezialkräfte von SEK-Einheiten hätten sich doppelt gesichert, Lebensgefahr habe nicht bestanden. Dazu hätte ein Gutachter gehört werden müssen, aber dieser Beweisantrag sei abgelehnt worden. Selbst wenn die Angeklagte zugetreten hätte, wäre das mit nackten Füßen gefährlicher gewesen als mit den Outdoor-Schuhen.
Zudem hätten die Protestierenden im Dannenröder Wald an jenem 26. November unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit gestanden. Döhmer forderte Freispruch und die Aufhebung des Haftbefehls.
In ihrem »letzten Wort« betonte »Ella«, dass die Haft eine große Belastung für sie sei. Sie appellierte an die Anwesenden, gemeinsam für das Öko-system einzutreten.
Für die Verkündung des Urteils waren einige der etwa 20 Polizisten, die den ganzen Tag um das Gericht postiert waren, vor den Gerichtssaal gekommen. Sie bekamen schnell Arbeit, als zwei Frauen und ein Mann aus dem Publikum nach der Urteilsverkündung in Proteste verfielen. Der Vorsitzende Richter ließ sie aus dem Saal entfernen.
In der Urteilsbegründung betonte Süß, »es geht nicht um politische Zwecke«, sondern nur um die Ahndung einer Straftat. Das dreiköpfige Gericht habe beim Sichten der Videoaufnahmen den Tritt gegen einen Beamten gesehen. Daran gebe es keinen Zweifel. Es liege kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vor. Denn die Besetzung der Rodungsfläche sei eine »Verhinderungsblockade« und nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt. Die Angeklagte habe auch nicht mit einer Hebebühe heruntergeholt werden können, weil sie auf einem Verbindungsseil weggelaufen sei. Sie habe feste Schuhe getragen und damit einem Beamten ins Gesicht getreten. Das sei gefährliche Körperverletzung. Zudem zeige sie kein Unrechtsbewusstsein.