- Es ist ein Bild, das ganz alltäglich scheint: Ein Junge dribbelt mit seinem Fußball, die Mutter beäugt Kind und Ball mit einer Mischung aus Freude und Stolz, Skepsis und Sorge, wer weiß, ob er nicht hinfällt und sich wehtut. Und dann beginnt ganz langsam ein Tanz zwischen den beiden, ein sehr faszinierender Moment. Denn hier in einem Saal des Frankfurter Mousonturms probt die Tänzerin Raimonda Gudaviciute, 36, eine eigene Choreografie, eine ungewöhnlich persönliche. Ihr acht Jahre alter Tanzpartner Elias Haun ist ihr Sohn und selbst schon ein erstaunlich virtuoser Tänzer.
Stärke gegeben
Dass hier Mutter und Kind auf der Bühne stehen, macht das Stück »M(other)« zu etwas Besonderem. Es mag vielleicht etwas pathetisch klingen, aber in jedem Blick, in jeder Bewegung wird dieses liebevolle Verhältnis der beiden auch für das Publikum spürbar und sichtbar - ganz natürlich und ohne den geringsten Hauch von Sentimentalität. Sie habe, sagt eine Zuschauerin nach der Probe, immer wieder weinen müssen.
Für den Achtjährigen, begeisterter Breakdancer und Fußballspieler, sei es »echt cool, mit der Mama auf der Bühne zu stehen«, wie er mehrfach betont. Und auch Mutter Raimonda sagt, dass sie bei der Arbeit an der Choreografie viel von Elias gelernt habe. »Breakdance kann er einfach besser!« Der Sohn lacht und verbiegt sich. »Das kannst du auch nicht so gut wie ich, Mama! Ich tanze ja auch schon viel länger als du«, meint er schelmisch. Für Elias, gebürtiger Frankfurter, ist das eine echte Premiere, es ist sein erster Auftritt auf einer großen Theaterbühne - im Mousonturm tanzen die beiden im Rahmen des Tanzfestivals an drei Abenden, im Staatstheater Darmstadt dann noch mal an zwei weiteren.
Was diesmal noch dazukommt: Professionelle künstlerische Arbeit mischt sich mit mütterlicher Verantwortung. »Es ist sehr schwer, mit je-mandem zu arbeiten, den man liebhat, und gleichzeitig ist es gar nicht schwer.« Das ist auch ein Thema von »M(other)«, die sehr persönliche Frage, was es bedeutet, Künstlerin und gleichzeitig Mutter zu sein.
Die Arbeit an »M(other)« habe ihr Stärke und neue Impulse gegeben und sie inspiriert, erzählt sie. Denn für die Künstlerin, die seit 2010 mit ihrem deutsch-französischen Mann in Frankfurt lebt, war die Zeit des Corona-Lockdowns und der Schul- und Kita-Schließungen wie für alle Eltern schwer. »Trotzdem war 2020 ein wunderschönes Jahr für mich«, sagt Gudaviciute. Und das lag auch an ihrem Tanzprojekt, das eigentlich aus der Not geboren war. »Ich musste die Kinder beschäftigen, die immer zu Hause waren und keine Freunde mehr treffen konnten. Und sie wollten immer wissen, was ihre Mama eigentlich arbeitet.« Jetzt wissen sie es. Andreas Hartmann