Herr Lesch, Ihre Eltern hatten eine Gastwirtschaft. Wie war das so als Kind?
Ja, wir hatten in Nieder-Ohmen eine Gastwirtschaft in der Untergasse. Das war schön. Ich erinnere mich mit großer Freude und Vergnügen an das Leben in Nieder-Ohmen und dem Vogelsberg.
Haben Sie auch hinter dem Tresen gestanden?
Aber klar! (lacht) Solange die Kneipe existierte, hat die ganze Familie mitgeholfen. Meine Schwester und ich auch. Mein Bruder wurde erst später geboren. Es war ein Familienunternehmen, teilweise hatten wir noch das Sportheim bei der TSG. Gerade am Wochenende war da ein richtiges Rambazamba. Ich konnte schon früh und schnell Bier zapfen. Meine Oma hat dann abends, wenn der letzte aus der Kneipe raus war, noch den Holzboden geölt, und dann ging es morgens um neun gleich weiter.
Hatten Sie als Junge konkrete Pläne für einen bestimmten Beruf? Und schon eine Vorstellung, wie Ihr Leben ganz allgemein aussehen sollte?
Als ich neun Jahre alt war, habe ich einen Brief an die NASA geschrieben, um mich als Astronaut zu bewerben. Daraus entstand der große Berufswunsch des Astronoms. Die NASA hat mir geantwortet, dass ich kein amerikanischer Astronaut werden kann, weil ich eine Brille habe und Deutscher bin. Aber wenn mich der Himmel so interessieren würde, solle ich doch Astronom werden. Und damit war’s klar.
Waren Sie ein Einserschüler?
Ich habe einen Durchschnitt von 1,5 gemacht.
Warum haben Sie dann auch noch Philosophie studiert…?
In Gießen gab es eine tolle Vorlesung von Bernulf Kanitscheider zur Philosophie der Natur und Kosmologie. Er begann viele seiner Vorlesungen damit zu sagen: »Ich sag Ihnen jetzt mal, warum Sie Physik studieren.« Es ging nicht nur um Übungsblätter oder um Rechnen, sondern auch um das Verstehen. Und das hat mich ziemlich begeistert.
Wie waren die ersten Jahre nach dem Studium? Sind Sie direkt nach München gegangen?
Kurz gefasst so: Ich bin nach Bonn gegangen, habe dort Astronomie studiert. 1984 habe ich dort auch mein Diplom gemacht. Meine Promotion folgte 1987. Später war ich für ein Jahr in Toronto. Seit 1995 bin ich an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und wurde mit knapp 35 Jahren Professor. Damals war ich der jüngste.
Und wie war der Weg zu einem der bekanntesten Wissenschaftler in Deutschland und zum Fernsehstar?
Ach Kerle! (lacht) Zufall! Angefangen hat alles mit der Habilitation. Damit bekommt man eine Venia Legendi - ich sage immer: eine Lizenz zum Vorlesen. Zur Habilitation gehört ein öffentlicher Vortrag, bei dem man sich als neues Mitglied der Fakultät auch der Öffentlichkeit vorstellt. Dafür habe ich 1994 in Bonn einen Vortrag zum Thema »Sind wir alleine im Universum?« gehalten. Ein Thema, das meine wissenschaftliche Karriere völlig verändert hat. Weil ich zu diesem Thema gesprochen habe, bin ich in den Genuss gekommen, 1994 bei einer ARD-Diskussion über UFOs eingeladen zu werden. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich im Fernsehen war.
Aber das war ja nur der Anfang …
Danach hatte ich erst mal nichts mehr mit dem Fernsehen zu tun. Vier Jahre später bin ich in München vom Bayerischen Rundfunk (BR) angesprochen worden. Diesen Anruf verdanke ich einem Kollegen, der sagte: »Ich will mich hier vor der Kamera nicht blamieren. Fragen Sie mal den Lesch, der hat sich zu diesem Thema doch schon geäußert.« Es ging wieder um die Frage, wie wir mit Außerirdischen in Kontakt treten. Im gleichen Jahr wurde auch BR alpha, der Bildungskanal des Senders, gegründet. Man hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, eine Astronomie-Sendung für den Sender zu machen. Ich sagte, dass ich nichts anderes kann, als zu erzählen. Und sie sagten: »Gut, dann erzählen Sie.« Das habe ich von 1998 bis 2007 gemacht. Daneben habe ich noch viele andere Sendeformate ausprobiert.
Hatten Sie Vorgaben?
Nein, ich konnte mich zu allen Themen aus Physik, Philosophie, Naturwissenschaften und Theologie, die mich interessiert haben, austoben. Sie haben mich völlig frei machen lassen. Das war großartig. 2007 gab es eine Reform beim BR, was dazu geführt hat, dass sie alle möglichen Produktionen eingestellt haben. Sie sagten: »Harald, wir haben so viele Sendungen von dir. Die sind so gut, die können wir noch Jahre wiederholen.« Dann war erst mal Schluss. Das ZDF hat sich dann 2008 gemeldet und mich als Nachfolger von Jo-achim Bublath angeworben. Dem Werben habe ich dann nachgegeben. So wird man Fernseh-Star (lacht).
Wie passt das mit Ihrer Arbeit an der Universität zusammen?
Gut! Die Arbeit bei BR alpha war eine ideale Ergänzung zu meiner Arbeit als Hochschullehrer. Es waren ja alles Themen, mit denen ich mich auch an der Hochschule beschäftige. Ich unterrichte die Hälfte meines Lehrdeputats in Philosophie und die andere Hälfte Physik. Diese Fächer habe ich hier in München wirklich ideal miteinander verbunden.
Vom BR zum ZDF - ein großer Sprung?
Es war auf jeden Fall eine Veränderung, als die Produktion beim BR endete. In der Primetime und im Hauptprogramm von einem großen Sender wie dem ZDF vor der Kamera zu stehen, heißt ja, dass man wenigstens eine Millionen Zuschauer hat. Vorher bei der Nischengeschichte, da dachte ich: Gott, wer guckt denn das? Inzwischen weiß ich, dass es von Taxifahrern, Medizinern und anderen Leuten im Nachtdienst geschaut wurde.
Worüber denken Sie nach, wenn Sie alleine unterwegs sind?
Das kommt ganz drauf an. Mal denke ich daran, wann ich mal wieder Boule spiele oder daran, dass ich mein Klavierspiel verbessern müsste. Ich denke daran, wie es meiner Frau und wie es meinem Sohn geht. Ich denke meistens über Menschen nach und wenig über Dinge und Sachen.
Wenn Sie hoch zu den Sternen schauen, an was denken Sie da? An schwarze Löcher, Urknall oder einfach nur an nichts?
Das kommt ganz darauf an. Wenn meine Frau Cecilia neben mir steht, denke ich an alles mögliche, nur nicht an den Himmel. Denn das ist alles so weit weg. Meine Frau ist selbst Astronomin. Sie hat ein sehr romantisches Verhältnis zum Himmel, weil sie die Sternenbilder kennt und auch die Geschichten, die zu den Sternenbildern geführt haben. Ich bin Theoretiker - ich rechne aus, was da oben passiert. Ich habe ein sehr nüchternes Verhältnis dazu.
Warum?
Der berühmte Gitarrist von Queen, Brian May, hat auch Astrophysik studiert. Er hat mal gesagt: Astronomie ist dann am Schönsten, solange man es nicht professionell betreibt. Das ist bei vielen anderen Sachen genauso.
Aber was denken Sie denn jetzt wirklich? Keine Romantik, nicht mal mondsüchtig?
Wenn ich in die Sterne blicke und meine Frau Cecilia mir nicht gerade erklärt, warum der Beteigeuze gerade so schwach geworden ist - das war doch vor einem Jahr der rote Riese im Sternbild Orion - dann denke ich: Oh Gott, die Dinger sind so weit weg. Was mir viel wichtiger ist, dass ein Astronom oder eine Astronomin seinen oder ihren Blick um 180 Grad dreht. Weg vom Himmel und zurück auf die Erde. Ich beschäftige mich heute viel intensiver mit Klimawandel (siehe Interview in unserer Jubiläumsbeilage), Energiewende und den ganzen Problemen, die wir auf der Erde haben, als damit, was im Weltall passiert. Das ist weit weg, wir können nichts dran machen. Ich finde diese ganzen Entwicklungen mit den Milliardären, die sich jetzt dort hochschießen lassen, absurd. Sollen sie doch ihre Milliarden nehmen und Impfstoffe entwickeln, damit die Pandemie schnell vorbei ist. Also man kann sagen: Ich bin ein Erd-Astronom geworden.
Nicht mal in einem melancholischen Moment - oh, guck mal, die Sterne…
Das ist nur beim Mond so. Der Rest ist mir viel zu weit weg. Bis zum Mond braucht man mit der Rakete dreieinhalb Tage. Der Rest ist so unglaublich weit weg. Im Englischen heißen die Geisteswissenschaften ja Humanities - Humanwissenschaften. Sie beschäftigen sich damit, was der Mensch macht. Wenn ich heute noch mal an die Uni ginge, würde ich auch eher was darüber machen, was der Mensch macht.
Sind Sie ein emotionaler Mensch?
Ich bin ein Mensch mit Temperament. Ich bin nicht nur emotional, aber Emotionen spielen eine große Rolle.
Wenn man Ihre Sendungen schaut, wirken Sie immer sehr engagiert. Sie geben auch körperlich alles...
Das liegt daran, dass ich das gelernt habe. Ich habe früh angefangen, Theater zu spielen. Ich habe viel in VHS-Kursen und auch in Schauspielkursen gelernt. Ich stehe heute noch hier in München in 3-D auf der Bühne. Für mich ist Rhetorik immer Körperarbeit.
Sie glauben an Gott. Was macht Sie so sicher, dass es Gott gibt?
(lacht) Das hat was mit persönlichen Erlebnissen zu tun und mit der Erfahrung eines Satzes wie »Wer von uns ohne Sünde sei, der werfe den ersten Stein«. Ich fühle mich von etwas getragen. Ich bin in einem protestantischen Milieu sozialisiert, und da nennt man das Gott. Und wann immer ich Gott treffe, geht es ihm gut, geht es mir gut. Er glaubt an mich, ich glaub an ihn.
Sie sind omnipräsent. Was treibt Sie an?
Erst mal muss ich zu der Omnipräsenz sagen, es sind ja viele Wiederholungen zu sehen. Ich bin kein Workaholic. Ich habe einen ziemlich entspannten Tag im Vergleich zu vielen meiner Leute. Ich bin nicht online, und ich habe kein Smartphone. Ich bin fast unerreichbar, weil ich manchmal vergesse, E-Mails zu beantworten. Mein Motto ist, dass ich kein Herzchirurg bin. Es geht nicht um Leben und Tod bei mir. Und dann denke ich, was wichtig ist, kommt wieder.
Also sind Sie ein entspannter Mensch?
Ich lebe sehr entspannt. Deshalb kann ich mich um Sachen kümmern, die mich umtreiben. Die Produktion von TV-Sendungen macht mir Freude. Das ist eine Situation, die man sonst so nicht erlebt. Es geht darum, dass alle daran interessiert sind, dass etwas gut wird. Nach jeder Sendung gibt es ein Feierabend-Bierchen. Das ist wichtig.
Physiker beschäftigen sich auch mit der Zeit …
Mit meinem Freund Karlheinz Geißler und seinem Sohn habe ich ein Buch geschrieben. Es heißt »Alles eine Frage der Zeit«. Es geht darum, wie wir mit Zeit umgehen. Eins der wichtigsten Dinge, die ich von meinem Freund gelernt habe, ist, wie wichtig die Strukturiertheit von Zeit ist. Es muss Rituale geben, Zeit zum Nachdenken. Es muss die Rituale des Feierns geben. Aber es muss auch immer ein Bruch da sein. Die Zeit darf nicht zu einem Brei verkommen. So wie vor dem Computer, wenn man nicht mehr weiß, ob Sonntag ist oder Mittwoch. Diese Mischung aus Romantik und Physik, das ist es, was ich gern erzähle. Und welche Verantwortung daraus erfolgt.
Eine wichtige Frage: Wie sind denn die Menschen im Vogelsberg so?
Ich habe lange im Rheinland gelebt, und da gibt es diesen wunderschönen Satz: Schön isses, wenn es schön ist. Das ist etwas, das kann man ja gar nicht hoch genug aufhängen. Das ist im Vogelsberg genauso. Die Leute merken, wenn Frieden ist. Es muss gar nicht das große Glück sein. Es geht einfach nur darum, zu sehen, dass es den Kindern, Freunden und mir selbst gut geht. Alles gut. Feierabend. Dann kann man gucken, wie der nächste Tag wird. Das kleine Glück des Normalen treibt mich um. Deswegen liebe ich auch Weimar so. Weimar ist eine Idylle, und ich bin auch ein großer Goethe-Fan. Da haben meine Frau Cecilia und ich letztes Jahr auch an Goethes Geburtstag geheiratet.
Genießen Sie in München die Vogelsberger Küche?
Ja, mache ich alles selbst! Regelmäßig gibt es bei mir Handkäs mit Musik, Grie Soß, manchmal Rindsroulade, so wie meine Oma sie gemacht hat. Schnitzel und Frikadellen auch. Aber in Maßen. Das Einzige, was ich manchmal wirklich vermisse, ist ein sauer gespritzter Apfelwein. Der ist im Sommer unschlagbar.