Wiesbaden/Dreieich - Die Probleme an der Wiesbadener Salzbachtalbrücke könnten nach Experteneinschätzung mit den zeitweise hohen Außentemperaturen zu tun haben. Einen ähnlichen Schadensfall habe es 1977 an der Mainbrücke Hochheim gegeben, sagt Knut Bock vom auf Brückenbau spezialisierten Ingenieurbüro Kinkel + Partner aus Dreieich. Bei Hitze dehnten sich Brücken aus, dadurch könne es passieren, dass sie - wie jetzt - von ihrem Lager herunterfallen und auf dem Pfeiler zum Liegen kommen.
Die Brücke der A66 war am 18. Juni gesperrt worden, nachdem sich der Überbau abgesenkt hatte und Betonbrocken herabgefallen waren. Auch die Straßen und Bahngleise unter der Brücke dürfen nicht befahren werden. Der Hauptbahnhof Wiesbaden ist vom Zugverkehr so gut wie abgeschnitten. Die Brücke soll nun gesprengt werden, damit rasch mit dem Neubau begonnen werden kann.
Die Sprengung der Salzbachtalbrücke ist aus Sicht von Bock eine vergleichsweise schnelle Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen - die vorab aber intensiver Planung bedürfe. So müsse genau sondiert werden, wohin die hunderte Tonnen schweren Teile der Brücke fallen und inwieweit etwaige Gebäude und Einrichtungen in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, erläuterte der Ingenieur.
Eine andere Variante wäre eine temporäre Sicherung durch ein aufwendiges Anheben der Brücke über Hydraulikpressen gewesen. Dabei wäre aber statisch intensiv zu überprüfen gewesen, wie mit der eingetretenen Schiefstellung des Pfeilers und der möglicherweise dadurch gefährdeten Nachbarbrücke umgegangen wird, sagt Bock.
Überall Sanierungsstau
Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) hatte darauf hingewiesen, dass die Salzbachtalbrücke so marode war, dass sie habe verstärkt werden müssen, damit sie durchhalte. Ähnlich sei man bei der Bergshäuserbrücke (A44) im Landkreis Kassel und der Brücke Thalaubach (A7) in Osthessen vorgegangen, sagt Bock.
An der Bergshäuserbrücke sei der Stahl ermüdet, wovon Schweißnähte betroffen seien, die Brücke werde ständig über Sensoren überwacht, es sei ein Ersatzneubau geplant. Die Thalaubach-Brücke solle 2022 erneuert werden. Auch auf der Sauerland-Linie gebe es eine Reihe von Brücken, die in naher Zukunft verstärkt oder abgerissen und neu gebaut werden sollten. Alle Brücken, die kritisch sind, werden durch Monitoring überwacht.
An der maroden Bergshäuser Brücke auf der A44 kommt es seit Jahren immer wieder zu Staus, weil nur drei der vier Spuren befahren werden können. Die Stahlfachwerk-Konstruktion ist trotz erfolgter Sanierung mit Stahlseilen 2019 den Belastungen des heutigen Schwerverkehrs nicht gewachsen. Der Grund ist laut Autobahn GmbH Materialermüdung. Die Restnutzungsdauer der Bergshäuser Brücke endet mit dem Jahr 2028.
Nach Angaben des ADAC Hessen-Thüringen gibt es landesweit 4000 Brücken, von denen rund zehn Prozent sanierungsbedürftig sind. Es habe lange einen Sanierungsstau gegeben, weil kein Geld geflossen sei. Gerade bei der Salzbachtalbrücke hätte man viel früher mit Bauarbeiten beginnen müssen, erklärt der ADAC.
Der marode Zustand der Brücke ist laut Al-Wazir ein Beispiel dafür, was über viele Jahre und Jahrzehnte in der Verkehrspolitik versäumt worden sei. Es sei sich auf den Neubau von Straßen konzentriert worden - anstatt Sanierung, Erhalt und Ersatzbauten vorrangig zu behandeln, erklärte er. »Der Sanierungsstau ist wohl eines der größten Probleme in Deutschlands Infrastruktur.« Hier müsse der Bund umsteuern und endlich die Prioritäten ändern. »Wir in Hessen setzen seit 2014 auf Sanierung vor Neubau«, betonte Al-Wazir. »Trotzdem rechnen wir damit, dass es viele Jahre dauern wird, bis der Sanierungsstau aufgeholt ist.« dpa