22. Januar 2021, 22:45 Uhr

»Schließung wäre unrentabel«

22. Januar 2021, 22:45 Uhr
Avatar_neutral
Aus der Redaktion
Mit einem »Schweige-Spalier« empfangen die Conti-Arbeitnehmer den Aufsichtsrat am frühen Morgen zu seiner Sitzung im Karbener Werk des Autozulieferers, das von der Schließung bedroht ist. FOTOS: JÜRGEN SCHENK/PRIVAT

Karben - Ein ungewöhnliches Bild zeigt sich am frühen Freitagmorgen auf dem Continental-Werksgelände in Karben. Im strömenden Regen stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Autozulieferers in einem »Schweige-Spalier« für den Aufsichtsrat, der sich zu einer Sitzung angekündigt hat. Aus den Reihen stechen einige Gelbwesten der Gewerkschaft heraus. »Wir bleiben hier«-Rufe sind zu hören. Die Hoffnung der Belegschaft auf einen guten Ausgang, dass die beabsichtigte Schließung des Werkes mit knapp 1100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis Ende 2024 verhindert werden kann, bekommt neue Nahrung. Bürgermeister Guido Rahn, der ebenfalls an das Werkstor gekommen ist, spricht von einem Zeichen des Aufsichtsrates. »Man will Präsenz zeigen und nicht immer nur in Videokonferenzen agieren.«

Gegen Mittag wird bekannt, was in der Aufsichtsratssitzung besprochen wurde. Auf Anfrage dieser Zeitung sagt IG-Metall-Vertreter Michael Erhardt, der seit zwölf Jahren als Arbeitnehmervertreter Mitglied des Aufsichtsrats der Continental Automotive GmbH ist, die Arbeitnehmerseite habe dem Aufsichtsrat ihre Zweifel dargelegt, dass die Schließung des Werkes rentabel sei. Man habe dem Aufsichtsratsvorsitzenden Helmut Matschi eine Untersuchung präsentiert, in der diese Zweifel seriös geprüft worden seien. Man müsse die Fähigkeiten des Werkes nutzen, anstatt es zu schließen. Das Karbener Werk beliefere interne Kunden, darunter das Werk in Babenhausen, das erst jetzt durch einen Tarifabschluss gesichert worden sei. »Das muss Auswirkungen auf das Karbener Werk haben«, sagt Erhardt.

An der Aufsichtsratssitzung nahmen von Arbeitnehmerseite auch der Konzernbetriebsratsbetreuer Ralf Schamel und der Karbener Betriebsratsvorsitzende Frank Grommeck teil.

Die Untersuchung sei von »betriebswirtschaftlichen Sachverständigen gemeinsam mit Controlling-Leuten« durchgeführt worden, die sich am Standort mit Beschäftigten unterhalten hätten. Zudem seien Informationen von Konzern-Controllern eingeflossen.

Gegen Verlegung in Niedriglohnländer

Angezweifelt werde, dass die Verlegung in Niedriglohnländer wie Tschechien, Rumänien und Litauen dem Konzern letztendlich kostengünstiger käme. Auch unter Berücksichtigung der Steigerung der Lohnkosten sowie der Produktivitätsentwicklung - projiziert auf sechs Jahre. Die Arbeitnehmervertreter argumentieren, die Einmalkosten seien bei einer Schließung deutlich höher als der DAX-Konzern mit Hauptsitz in Hannover annehme. »Die Geschäftsleitung hat unsere Vorlage mitgenommen und zugesagt, sie zu prüfen«, sagt Erhardt und fügt hinzu: Aufsichtsratsvorsitzender Matschi habe sich Zeit genommen, habe mit den Arbeitnehmern gesprochen, der Umgang miteinander sei re-spektvoll gewesen. Aber man müsse auch wissen: »Die Hängepartie geht weiter.«

Am Montag wolle man nun die Untersuchung der Karbener Werksleitung vorlegen. Man wolle Standortleiterin Frauke Berger die Argumente vortragen. »Heute war es ein stiller Protest, am Montag wird es lauter«, kündigte Erhardt an. Man wolle mittags vor den Werkstoren protestieren und weiter für den Erhalt des Karbener Werkes kämpfen.

Gnadenfrist für Babenhausen

Am Freitag teilte ein Sprecher des Unternehmens mit: »Dass unsere Mitarbeiter diese Gelegenheit nutzen, um ihrer Enttäuschung über die Maßnahmen in Karben Ausdruck zu verleihen, können wir voll und ganz nachvollziehen.« So hart diese Entscheidung auch sei: »Der Rückzug aus der Produktion am Standort ist aus unserer Sicht unumgänglich, um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit von Continental zu sichern. Um diesen Schritt so sozialverträglich wie möglich zu gestalten, stehen wir in Gesprächen mit der Arbeitnehmervertretung.«

Für das Continental-Produktionswerk in Babenhausen war Anfang dieser Woche eine Gnadenfrist vereinbart worden. Nach starken Protesten gegen die zum Jahresende 2025 geplante Schließung einigten sich der DAX-Konzern und die IG Metall auf Eckpunkte eines Sozialtarifvertrags. Demnach soll die Produktion nun erst zum Jahresende 2028 auslaufen. jsl/ach/dpa



0
Kommentare | Kommentieren

Bilder und Videos