- Der rassistische Attentäter von Hanau, Tobias R., wollte noch mehr Menschen ermorden. Informationen in Unterlagen, in denen die Frankfurter Rundschau recherchiert hat, geben Aufschluss darüber, wie lange und detailliert R. den Terroranschlag vorbereitete und dass er dies nicht in der totalen Isolation tat, sondern diverse Kontakte knüpfte, einschlägige Internet-Seiten sowie Anlaufstellen besuchte.
Demnach wollte der 43-Jährige allein am Heumarkt im Hanauer Zentrum insgesamt »mind. 10« Menschen töten, wie er zuvor auf einem Flipchart-Blatt notierte. R. ermordete in der Innenstadt Kaloyan Velkov, der in der Bar »La Votre« arbeitete, Fatih Saraçoglu, dem er auf der Straße begegnete, und Sedat Gürbüz, den Besitzer des »Midnight«.
An Schießtraining teilgenommen
Auf einer Skizze schrieb Tobias R. »Drin anfangen« über die beiden Lokale und fünf beziehungsweise zwei Tote als Ziel. Auf der anderen Seite des Karrees sind zwei weitere geplante Anschlagsorte eingezeichnet, in denen R. »1-2« sowie »3-4« Morde vorhatte. Bei den Orten handelt es sich um eine weitere Bar sowie einen Kiosk, den R. betrat, aber glücklicherweise dann, als eine Beschäftigte gerade in einem anderen Raum war.
Dass Tobias R. nicht seine gesamten Mordpläne umsetzen konnte, ist Vili Viorel Paun zu verdanken. R. bemerkte, wie der 22-Jährige ihn aus seinem Auto heraus beobachtete und damit störte. Er verfolgte R, am Kurt-Schumacher-Platz in Kesselstadt wird Paun von R. getötet, durch Schüsse durch die Windschutzscheibe. Danach ermordete der Attentäter im »Arena Bar und Café« mit angeschlossenem Kiosk Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtovic.
Die Anschläge plante Tobias R. weit im Voraus. So legte er eine Datei für seine Homepage, die später voller rassistischer, rechtsextremer und verschwörungstheoretischer Inhalte war, bereits im Frühjahr 2019 an. Mit der Datei »Begründung« begann er im September 2019. Komplett, mit allen Text- und Videoinhalten, war die Seite vermutlich am 13. Februar, knapp eine Woche vor den Attentaten. In den Monaten zuvor recherchierte Tobias R., traf sich mit Illustratoren und anderen Experten wegen seiner Internet-Seite, informierte eine Privatdetektei über seine Verschwörungstheorie und stellte deshalb Strafanzeigen. Auffällig sind auch seine Internet-Recherchen Ende Februar über Schulen. Waren sie ebenfalls potenzielle Anschlagsorte?
Etwa fünfmal meldete sich Tobias R. für Schuss- und Gefechtstrainingseinheiten einer Sicherheitsfirma in der Slowakei an, für die frühere Militärs und SEK-Leute arbeiten. Mindestens zweimal nahm er daran teil. Am 20. September 2019 wurde er von der Teilnahme am Kurs »Sturmgewehr« ausgeschlossen. Der Grund: R. soll sich seltsam verhalten und auffällig geschwitzt haben. Und spätestens zwei Wochen vor der Tat begann R., intensiv mögliche Tatorte auszukundschaften.
Unterdessen wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Hanau Anklage gegen den Vater des Hanau-Attentäters erhoben hat. Die Behörde lege einem 73-jährigen Hanauer, bei dem es sich nach FR-Informationen um den Vater von Tobias R.. handelt, rassistische Beleidigung zur Last, teilte Oberstaatsanwalt Dominik Mies auf Anfrage mit. »Konkret wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, in einer Eingabe an die Staatsanwaltschaft Hanau Teilnehmende einer Mahnwache, die Ende Dezember in Hanau stattgefunden hat, als ›wilde Fremde‹ bezeichnet zu haben«, sagte Mies. Solche rassistischen Äußerungen seien nicht tolerabel und würden »mit aller Konsequenz« verfolgt.
Rassistische Ansichten
Angehörige haben nach eigenen Angaben auch Anzeige erstattet, als sie von der Beleidigung erfuhren. Das Delikt kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet werden.
In seiner bei der Hanauer Staatsanwaltschaft eingegangenen Anzeige, die sich konkret gegen Hinterbliebene richtet, schrieb der Vater nun, die Teilnehmer der Mahnwache sollten das »Maul halten und sich dem Deutschen Volk und dem Grundgesetz vom 23. Mai 1949 unterordnen«. Gleichzeitig warf er der Polizei vor, sie habe ihn nicht richtig vor den »wilden Fremden« geschützt. An der angemeldeten Veranstaltung am 29. Dezember in der Nähe von R.s Haus hatten vor allem Überlebende des Anschlags, Angehörige der Ermordeten sowie Nachbarn teilgenommen.
Kurz zuvor hatte der »Spiegel« berichtet, dass der Vater in Vernehmungen, Anzeigen und Anträgen dieselben rassistischen Ansichten und Verschwörungstheorien wie sein Sohn vertreten hat. Auch die FR hat die Dokumente ausgewertet: Der 73-Jährige gibt an, sein Sohn sei von einer weltweit aktiven Geheimorganisation getötet worden. Danach habe ein Agent die Anschläge verübt. Die Gedenkstätten stellen für ihn Volksverhetzung dar, weshalb er fordert, sie zu beseitigen. Gregor Haschnik