21. Juni 2021, 21:00 Uhr

Kein Fach Türkisch in Hessen

Die schwarz-grüne Landesregierung eröffnet neue Möglichkeiten für zweite oder dritte Fremdsprachen an den Schulen. Polnisch, Chinesisch, Portugiesisch und Arabisch kommen dazu. Aber ausgerechnet die wichtigste Sprache von Migrantinnen und Migranten in Hessen fehlt: Türkisch. Das sorgt für Unmut in der Community der türkeistämmigen Menschen und darüber hinaus.
21. Juni 2021, 21:00 Uhr
Avatar_neutral
Aus der Redaktion
Türkischuntericht in der 11. Klasse: In NRW gibt es das, in Hessen dagegen nicht. Hier eine Schule in Köln. FOTO: DPA

Auch die Sozialdemokraten können nicht nachvollziehen, warum die Landesregierung die türkische Sprache beim Ausbau der Fremdsprachenerziehung nicht berücksichtigt. Ihr Antrag, dass neben Arabisch auch andere häufig gesprochene Herkunftssprachen wie Türkisch und Griechisch »dauerhaft als zweite oder dritte Fremdsprache und versetzungsrelevantes Wahlpflichtfach an allgemeinbildenden Schulen im Regelunterricht angeboten werden«, lehnte der Kultusausschuss des Landtags ab.

Nur SPD, FDP und Linke unterstützten ihn, während CDU, Grüne und AfD dagegen stimmten. In der vergangenen Woche wurde dieses Votum vom Plenum des Parlaments bekräftigt, ohne weitere Debatte. »Ich bedauere sehr, dass Schwarz-Grün diesbezüglich zu zaghaft ist und die Nachfrage der Schülerinnen und Schüler ignoriert, indem scheinbar willkürlich bestimmte Sprachen gefördert werden«, kommentierte der SPD-Integrationspolitiker Turgut Yüksel. Kultusminister Alexander Lorz (CDU) müsse »endlich dafür sorgen, dass Mehrsprachigkeit in ihrer ganzen Breite an hessischen Schulen gefördert wird«.

Kultusminister Lorz weist darauf hin, dass Chinesisch, Arabisch und Portugiesisch zu den meistgesprochenen Sprachen der Erde zählten. Für die Aufnahme von Polnisch argumentieren CDU und Grüne, es gehe darum, »die Partnerschaft und Freundschaft Deutschlands zu seinem großen östlichen Nachbarn zu vertiefen, den europäischen Gedanken zu fördern und die Erinnerung an die konfliktträchtige europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts wachzuhalten«.

Zum anderen verweist Minister Lorz darauf, dass ein Schulversuch mit Türkisch als zweiter Fremdsprache an der Georg-August-Zinn-Schule und der Heinrich-Kraft-Schule in Frankfurt sowie an der Mathildenschule in Offenbach »mangels ausreichender Nachfrage« wieder eingestellt worden sei. Das allerdings liegt mehr als ein Jahrzehnt zurück.

Die Befürworter eines neuen Anlaufs gehen davon aus, dass sich die Lage geändert hat. Vor zehn oder 15 Jahren seien türkeistämmige Menschen oft verunsichert gewesen und hätten befürchtet, dass ihre Kinder nicht richtig Deutsch oder Englisch lernen, wenn sie Türkischunterricht besuchen, schildert Arif Arslaner, der Geschäftsführer des Frankfurter Bildungsträgers Kubi (Gesellschaft für Kultur und Bildung). Heute sehe die dritte oder vierte Generation eher die Chancen, mit besseren Sprachkenntnissen etwa bei türkischen Firmen in Deutschland einsteigen zu können.

Türkisch wird zwar an manchen Schulen angeboten, allerdings nur als herkunftssprachlicher Unterricht, der nicht versetzungsrelevant ist. Zudem wird er häufig nicht von hessischen Lehrern erteilt, sondern von Lehrkräften, die das türkische Konsulat entsendet.

Seit Jahren fordern viele Verbände, darunter die Türkische Gemeinde Hessen, die Einführung des Türkischunterrichts als zweite und dritte Fremdsprache. Eine Petition, die Arslaner und andere vor drei Jahren betrieben, sammelte mehr als 20 000 Unterschriften ein. Verwirklicht wurde sie nicht. »Seit Jahren werden wir vertröstet«, klagt Arslaner. Die Entscheidung, nun andere Sprachen anzubieten, löse bei vielen türkeistämmigen Menschen Empörung aus, berichtet er. »Sie verstehen das so, dass sie hier nicht willkommen sind.« Der Grünen-Bildungspolitiker Daniel May sagt, die Zielgruppen von herkunftssprachlichem Unterricht und Fremdsprachenunterricht seien unterschiedlich. Fremdsprachenunterricht ziele »auf das Erlernen einer neuen Sprache ab und richtet sich somit primär an Schülerinnen und Schüler, die keine Kenntnisse in der jeweiligen Sprache mitbringen«, erläutert er.

Aber müsste das nicht auch für das Arabische gelten? Diese Sprache heben CDU und Grüne als »Weltsprache« heraus. Grünen-Politiker May erläutert, Kriterien für die Auswahl seien »die quantitative Verbreitung der Sprache weltweit, Möglichkeiten zum Schüleraustausch, die Bedeutung der Sprache im Kontext der europäischen Einigung und die Anzahl der Sprecher der Sprache in Deutschland« gewesen. Auf dieser Grundlage sei die Nachfrage für das jeweilige Fremdsprachenangebot eingeschätzt worden. Die Grünen stünden allerdings »künftigen Erweiterungen, auch um das Türkische, grundsätzlich offen gegenüber«.

Die hessischen Ausländerbeiräte hätten sich schon jetzt »eine klare Aufwertung« von Türkisch und Griechisch gewünscht. Ihr Vorsitzender Enis Gülegen stellte die Frage, weshalb »zwei Sprachen außen vor bleiben, die aufgrund der Arbeitskräftezuwanderung bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert tief in der hessischen Gesellschaft verwurzelt« seien. Gülegen sprach von einer »Ignoranz gegenüber diesen wichtigen südosteuropäischen Sprachen«, die beschämend sei.



0
Kommentare | Kommentieren

Bilder und Videos