Es ist das Jahr 1970. Anfang November braut sich im Indischen Ozean ein Wirbelsturm zusammen: Starke Winde zwingen Wasser- und Luftmassen in einer spiralförmigen Rotation über das Meer. Am 12. November trifft der Zyklon dann auf die Küstenregion von Ostpakistan - mit verheerenden Konsequenzen: Die Zahl der Todesopfer wird auf bis zu 500 000 geschätzt. Der Bhola-Zyklon verwüstet ganze Landstriche. Es ist eine der schwersten Naturkatastrophen der Menschheit.
Hilfe aus Hessen nach Pakistan
Desaster von solchem Ausmaß hatte man in Deutschland bis dahin nicht gekannt, Die Menschen erfahren durch Zeitungen und Fernsehen von der Naturkatastrophe. 1970, also vor der Erfindung des Internets, liefen die Informationen noch eher langsam um die Welt. Als der Zyklon Ostpakistan getroffen hatte, berichteten die »Wetterauer Zeitung« und die »Gießener Allgemeine« am 16. November, vier Tage nach der Katastrophe, von dem Unglück. Genaue Informationen über das Ausmaß des Schadens gab es da aber immer noch nicht. Alle Nachrichtenverbindungen waren gekappt. Wovon die WZ aber berichtete: Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hatte zu Spenden aufgerufen und bereits Hilfsmaßnahmen eingeleitet. Decken, Bekleidung, Lebensmittel und Kindernahrung sollten in die Krisenregion geflogen werden. Im hessischen Sterzhausen befand sich das zentrale Kleiderlager des DRK. Alleine fünf Tonnen Kinder-Oberbekleidung wurden wenige Tage nach der Katastrophe von hier nach Pakistan geschickt. Und auch Mitarbeiter des THW und der Malteser reisten in die Region, um zu helfen.
Eine Hilfsorganisation, die es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gab, sind die Ärzte ohne Grenzen (ÄoG). Erst 1971, als Folge des Bürgerkriegs in Biafra, wurde dieser Zusammenschluss von Medizinern gegründet und hat seitdem immer wieder Mitarbeiter bei Naturkatastrophen ausgesandt. So auch 2004, als am zweiten Weihnachtsfeiertag ein Tsunami Südostasien heimsuchte.
Am Tag danach schrieb die WZ, dass der Flut eines der stärksten Erdbeben der vergangenen 40 Jahre vorausgegangen war. Die Opferzahl wird heute auf etwa 230 000 Menschen geschätzt. Der Rettungsmediziner Tankred Stöbe war damals für die ÄoG vor Ort und erinnert sich an die Flutkatastrophe. »Bis dahin hatten wir in Europa noch nicht begriffen, was ein Tsunami ist.« Wegen der vielen Urlauber, die sich über die Weihnachtsfeiertage in der Region aufgehalten haben, habe das Thema aber eine »maximale Aufmerksamkeit« erhalten.
Die Katastrophe hatte ein »unglaubliches Ausmaß«, sagt Stöbe. Menschen ertranken oder wurden von Trümmern erschlagen, ganze Ortschaften wurden fortgespült. Mehr als eine Millionen Einwohner wurden auf einen Schlag obdachlos. Stöbe baute mit Kollegen vor Ort ein Krankenhaus auf. Was bei dem Mediziner einen starken Eindruck hinterließ: »Ich habe immer wieder erlebt, wie Menschen in dieser Extremsituation alles gegeben haben.« Ohne die Solidarität der einheimischen und auswärtigen Helfer wäre das Leid noch größer gewesen.
Beben auf Haiti
Auch als am 12. Januar 2010 ein Erdbeben Haiti erschütterte, liefen in kürzester Zeit internationale Hilfsmaßnahmen an. Bereits am Tag nach der Katastrophe flogen Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks in die Region und auch das DRK entsandte Helfer. Zu denen gehörte Wolfgang Friedrich, der ein Jahr lang in Haiti Häuser baute. »Was dort passiert ist, kann man nicht verstehen, wenn man nicht dabei war.« Durch das Beben stürzten Tausende Gebäude ein. Schätzungen gehen von bis zu einer halben Million Toten aus.
Als Friedrich ankam, waren Straßen zum Teil unpassierbar, die Lebensgrundlage vieler Menschen zerstört. »Wie sollte das nur funktionieren, hier etwas aufzubauen?« Aber es funktionierte. Das DRK errichtete schließlich 3000 Häuser. Damit halfen sie den Menschen nicht nur materiell, sondern auch psychisch. Bei den Bauarbeiten seien viele Haitianer mit eingebunden gewesen, was ihnen eine Perspektive verschafft habe. Friedrich sagt: »Sie reden mit den Menschen beim Wiederaufbau über etwas Positives, der Blick ist nach vorne gerichtet.« Der Blick des DRK-Mitarbeiters auf die Natur habe sich indes seit Haiti verändert. »Man sieht, dass die Natur auch anders kann.« Neben Wirbelstürmen, Tsunamis und Erdbeben gibt es auch immer wieder große Feuerkatastrophen wie 2019 in Australien. Beinahe zehn Monate wütete die Feuersbrunst auf dem Kontinent, verbrannte eine Fläche von 126 000 Quadratkilometern, zerstörte über 5000 Häuser und kostete 33 Menschen das Leben. Die verhältnismäßig kleine Zahl an Opfern liegt laut Flächenbrand-Experte Detlef Maushake an der guten Vorbereitung in Australien: »Die leben dort mit dem Feuer.« Trotzdem komme es immer wieder vor, dass Menschen die Flammen unterschätzen und zu spät fliehen.
Das Ausmaß der Buschbrände sei nicht alleine auf die Natur zurückzuführen, sondern es gebe auch »eine soziologische Komponente«, sagt Maushake. Früher sei von Aborigines außerhalb der Feuersaison gezielt Unterholz abgebrannt worden, sodass es weniger Brennmaterial gab. Mit der Flucht der Ureinwohner in die Städte geschieht das immer weniger. Die Buschbrände finden so in der Feuersaison mehr Nahrung als früher.
Die Menschen in Australien müssen laut Maushake wieder zu der Aborigine-Tradition zurückkehren, um die Brände in Zukunft besser kontrollieren zu können. Gegen Erdbeben werden indes stabilere Häuser gebaut und gegen Sturmfluten Frühwarnsysteme installiert. Alles, damit die nächsten Ka-tastrophen - die sicher kommen - weniger Opfer fordern. Im Kampf gegen die Elemente ist Aufgeben keine Option.