20. Juli 2021, 21:55 Uhr

Hochwasser kann alle treffen

Hessen hat es diesmal nicht erwischt. In anderen Bundesländern kämpfen die Menschen mit Hochwasserschäden nach Starkregen, mit Bächen, die zu reißenden Strömen werden, mit abrutschenden Hängen. Von Entwarnung kann aber keine Rede sein. Starkregen und Hochwasser können auch in Hessen alle Regionen treffen.
20. Juli 2021, 21:55 Uhr
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Noch nicht lange her: Mitarbeiter von DLRG und Feuerwehr retten Büdinger Bewohner aus den vom Wasser eingeschlossenen Häusern in der überfluteten Altstadt. ARCHIVFOTO: DPA

Das ist die wichtigste Erkenntnis des Projekts »Starkregen und Katastrophenschutz« des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie. »Wir hätten auch gedacht, dass es Regionen mit höherem und weniger hohem Risiko gibt«, sagt Heike Hübener, Klimaforscherin im Dienst des Landes Hessen. Gibt es aber nicht. Wassermassen, die vom Himmel stürzen, sind die Folgen des Klimawandels. Je wärmer die Luft ist, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen. Vor 30 Jahren, also bei kühlerer Luft, hätten die gleichen Wolken weit weniger Regen gebracht. Und die Wassermassen bahnen sich ihren Weg. Im Wald schaden sie nicht, im dicht besiedelten Bereich, wo viel Fläche versiegelt ist, schon. Das Wasser kann nicht versickern. Bäche und Flüsse schwellen an, verlassen mit zerstörerischer Kraft ihr gewohntes Bett. Das kann überall passieren, wo Wasserläufe zu finden sind.

»Tatsächlich sind alle Orte gefährdet, wir haben auch Überschwemmungen erlebt, wo kein Bach in der Nähe ist«, erläutert Hübener. Es reiche aus, an der tiefsten Stelle im Tal zu sein. Oder an einem Hang, der abrutscht. Ein steiler Weinberg etwa, eine schlecht befestigte Böschung, ein Acker, bei dem die Feldfrüchte noch nicht gewachsen sind und die Erde weggeschwemmt wird.

Die gute Nachricht ist: »Wir können etwas tun, wir müssen etwas tun«, betont Hübener. Die hessische Landesregierung fördert die Entsiegelung von Böden, das Anlegen von Sickerflächen, die Renaturierung von Bachläufen und Flussauen. »Unsere Gewässer brauchen ihren Auslauf.«

Das Land prüft regelmäßig die Sicherheit der hessischen Talsperren, fördert finanziell Regenrückhaltebecken und Deichrückverlagerungen. Damit in Krisenzeiten das Wasser mehr Raum hat, sich zu verteilen. »Wir müssen lernen, mit dem Wasser zu leben.« Das Konzept der Schwammstadt: Wasser so lange wie möglich vor Ort belassen, weniger ableiten, mehr versickern lassen, mehr nutzen. Renaturierung, Entsiegelung, Deiche versetzen, das sei das, was Sicherheit schaffe.

Fließpfad- und Regengefahrenkarte

»Das Hochwasser in Deutschlands Flusstälern ist nicht nur die Folge außergewöhnlicher Regenfälle, sondern auch die Folge ökologischer Sünden«, sagt Michael Henze vom Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BGL). Der Verband fordert den Rückbau von begradigten und kanalisierten Bächen und Flüssen. Und mehr Grün, weniger Versiegelung. Auch mehr begrünte Dächer.

Der Kampf gegen das Hochwasser beginne bereits an den oberen Bach- und Flussläufen. Dort muss mehr Wasser zurückgehalten werden, um die unteren Läufe gar nicht erst in die Bredouille zu bringen. Auch Landschaftsgärtner können ihren Teil beitragen. Zumal die großen Infrastrukturprojekte viel Zeit benötigen, dagegen viele kleine Landschaftsarbeiten schnell etwas bewirken können. Damit sich Städte und Gemeinden besser auf mögliche Überflutungen vorbereiten können, stellt das Landesamt für Naturschutz sogenannte Fließpfadkarten zur Verfügung. Das sind recht einfache Darstellungen der Siedlungen und der Topografie. Sie zeigen, wo im Ernstfall das Wasser hinfließen würde, wo der tiefste Punkt des Ortes ist. Und was dort liegt. Wiesen? Häuser? Eine Kita? Die Feuerwache? Die Karten kosten die Kommunen wenige Hundert Euro und liefern Anhaltspunkte zur Optimierung des Hochwasserschutzes. Wer es genauer wissen möchte, wer auch U-Bahn-Schächte oder Unterführungen mitbedenken muss und genaue Berechnungen braucht, wie hoch das Wasser steigen könnte, muss ein Ingenieurbüro beauftragen, eine Starkregengefahrenkarte zu erstellen. An den Kosten beteiligt sich das Land ebenfalls, zu 80 bis 100 Prozent. Die Stadt Frankfurt etwa arbeitet an einer solchen Karte.



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