Herr Peterek, im Angesicht von Klimawandel und allgegenwärtigem Landfraß: Wie zeitgemäß ist ein Stadtteil auf der Grünen Wiese?
Er ist hier nötig, weil die Stadt in den vergangenen Jahren rapide gewachsen ist und es so aussieht, dass die großen Metropolen in Deutschland weiter wachsen. Damit besteht auch in den nächsten Jahren ein akuter Wohnungsbedarf. Mit 15 000 Einwohnern mehr pro Jahr werden 7500 neue Wohnungen pro Jahr gebraucht.
Könnten diese Wohnungen nicht anderswo entstehen?
Sie kann man zu einem gewissen Teil auf bestehenden Flächen unterbringen durch Nachverdichtung. Man kann das in gewissem Maß auch durch zusätzliche Erschließung in kleineren und mittleren Zentren im Umland entlang von Bahnlinien erreichen. Auch in allen anderen großen Städten Deutschlands zeigt sich aber, dass das nicht ausreicht. Deshalb ist es nötig, einen neuen Stadtteil auch auf der Grünen Wiese zu bauen.
…wenn das nicht geschieht?
Städte wie Paris, London und Berlin zeigen auf, dass dann die Mieten rasant weiter steigen. Das führt dazu, dass sich nur Menschen mit höheren Einkommen die Stadt noch leisten können.
Was ändert sich gerade durch Corona und deutlich mehr Arbeit im Homeoffice? Bremst das den Drang in die Stadt vielleicht sogar ein?
Der Zuzug in die großen Städte wird nicht abrupt aufhören. Aber Menschen werden mehr dort, wo sie wohnen, auch arbeiten wollen. Das betrifft nicht nur Stadt und Umland, sondern auch Quartiere in sich. Durch Corona werden durchaus manche kleinere Zentren attraktiver. Die Großstadt hat aber ganz andere Anziehungskräfte wie Qualitäten kultureller Art und Bildungsmöglichkeiten. Der Arbeitsplatz ist nicht das Einzige, was Menschen nach Frankfurt zieht. Es gibt auch eine erhebliche Zahl an Auspendlern.
In Frankfurt gibt es beliebte Stadtteile wie Nordend, Westend, Sachsenhausen, aber die neueren wie Riedberg und Europaviertel sind nicht ganz so beliebt. Was muss ein neuer Stadtteil bieten, um lebenswert zu sein?
Die sehr beliebten Stadtteile sind die, die eine große urbane Vielfalt bieten. Dort wohnt man, dort gibt es viel Infrastruktur, kulturelle Angebote und Arbeitsplätze. Die Siedlungen der Nachkriegszeit basierten dagegen auf dem Prinzip modernen Städtebaus: die Trennung der Stadt in ihre einzelnen Funktionen und deren Optimierung. So sollte es möglichst keine Beeinträchtigung geben zum Beispiel zwischen dem Wohnen und der Industrie - und mit dem Auto sollte man sich frei bewegen. Deshalb wohnen 25 000 Menschen in der Nordweststadt, aber Arbeitsplätze sind nicht vorgesehen.
Was muss der neue Stadtteil anders machen?
Er muss die Angebote, die wir von »Stadt« erwarten, möglichst im Quartier anbieten. Neben Wohnungen muss es auch Arbeitsplätze geben, Freizeitangebote und Versorgung mit Läden. Dafür ist es auch notwendig, dass der Stadtteil eine gewisse Dichte hat - anders als am Riedberg. Die Wege zwischen Wohnung und Arbeit sind nur ein geringer Teil der Wege, die wir täglich zurücklegen. Viel mehr Wege legen wir im Privatleben zurück. Die Stadtplanung muss erreichen, dass die Menschen möglichst viele Wege ohne Auto zurücklegen können.
Wegen Corona werden Fahrrad und Auto wieder beliebter. Wie muss die Stadtplanung darauf reagieren?
In den Quartieren des neuen Stadtteils werden die Wege so kurz werden, dass man sie gut zu Fuß oder eben mit dem Fahrrad bewältigen kann. Für Wege in die Innenstadt oder zum Beispiel in die Nachbarkommunen bietet der Stadtteil den großen Vorteil, dass er optimale ÖPNV-Anschlüsse von außer her hat, die man fortführen muss. Die Zurückhaltung beim ÖPNV besteht aktuell ja durch die Pandemie. Das ist aber auf lange Sicht kein Argument gegen den ÖPNV.
Wie lässt sich die Autonutzung innerhalb des Quartiers effektiv reduzieren?
Man muss den Stadtteil wirklich attraktiv machen für Fußgänger und Radfahrer. Der Riedberg ist das Gegenteil: Er ist mit langen Wegstrecken und breiten Straßen vorwiegend fürs Auto gebaut. Im neuen Stadtteil muss die Priorität auf Fahrrad, Fußweg und kurzen Distanzen liegen.
Wie lässt sich das erreichen?
Indem Fußgänger und Radfahrer gleichberechtigt sind und nicht Autos das dominante Verkehrsmittel. Das lässt sich zum Beispiel durch verkehrsberuhigte Bereiche ermöglichen. Der Verzicht auf den Bau von Tiefgaragen fördert auch eine kleinteilige Eigentümerstruktur bei den Häusern und Wohnungen, was ja gewünscht ist im Sinn von Flexibilität und mehr Verantwortung.
Wo sollen die Bewohner dann ihre Autos parken?
Es können zentrale, oberirdische Quartiersgaragen entstehen. Man muss darauf achten, dass der Weg zur Haltestelle von U-Bahn- oder Straßenbahn nicht länger ist als der zum Auto. Außerdem muss die Bebauung entlang der Bahnstrecken am dichtesten sein. In der Nähe der Haltestellen müssen auch die Läden untergebracht sein. Im Prinzip wird die Siedlung um den öffentlichen Nahverkehr herum entwickelt. Der öffentliche Raum muss so gestaltet werden, dass man sich gerne dort aufhält. Das sind zum Beispiel Grünräume und urbane Plätze.
Kritiker fürchten, dass Kaltluftquellen zerstört werden. Wie wird das verhindert?
Indem kompakt gebaut wird. Das kann sehr kompakt, gründerzeitmäßig werden. Oder es wird kompakt, aber nicht alles auf einem Fleck, sondern in dezentralen Einheiten. Auch kleine, nicht versiegelte Flächen zwischendurch bringen durchaus Abkühlung in der Nacht. Kompakte, mehrgeschossige Bebauungsformen sind auf jeden Fall sinnvoll. Man wird idealerweise keine Einfamilienhäuser bauen.
Mittendurch verläuft die achtspurige A5. Wer soll bei diesem Lärm dort leben?
Da sollte man den nun zu beurteilenden Projekten eine Chance geben, wie man damit umgehen kann. Es gibt Möglichkeiten, darauf zu reagieren. In der Regel sind lärmunempfindlichere Nutzungen wie Gewerbe in der Nähe der Autobahn angesiedelt und bilden einen Puffer. Auch über Geländemodellierungen oder das Absenken der Autobahn lässt sich Schutz erreichen.
An welchen erfolgreichen Stadtentwicklungen kann sich Frankfurt orientieren?
Es gibt das Neubauprojekt der Seestadt Aspern in Wien, wo das Konzept Wohnen und Arbeiten ganz stark umgesetzt wird. Dort sind Freiraum und Freizeitnutzung, Fußgänger- und Fahrradfreundlichkeit, die U-Bahn als Rückgrat sowie Mischnutzung umgesetzt. In der Südstadt in Tübingen wurde Mischnutzung bis auf die Parzelle vorgeschrieben mit mindestens einer Nicht-Wohnnutzung in jedem Gebäude. Nach 25 Jahren ist dort ein sehr vielfältiger Stadtteil entstanden mit Physiotherapiepraxis, Architekturbüro und anderen Freiberuflern, Computergeschäft, Gastronomie und vielen mehr. Und im Rieselfeld in Freiburg ist die Planung so intelligent, dass alle 12 000 Einwohner in sechs bis sieben Minuten Fußweg eine von drei Straßenbahnhaltestellen erreichen können.
Aus den Nachbarorten gibt es Angst vor einer Trabantenstadt. Worauf müssen sich die Nachbarn einstellen?
Unsere Vorstellung von Stadtplanung hat sich verändert. Heute baut man keine Betonburgen mehr. Es heißt deshalb auch »Stadtteil der Quartiere«. Es soll nicht ein großer Stadtteil entstehen, sondern einzelne Quartiere von 5000 bis 10 000 Einwohnern. Dadurch können diese sich stimmig an die umgebenden Stadtteile angliedern. Deshalb müssen diese Quartiere auch in ihrer baulichen Ausformung unterschiedlich sein - je nachdem, ob sie näher an Frankfurt sind oder weiter weg.