Die enormen Waldschäden durch Trockenheit, Sturm und Borkenkäfer stellen Hessens Förster vor eine Mammutaufgabe. Tausende Hektar Schadflächen müssen in den kommenden Jahren wiederaufgeforstet werden, um den Wald als Lebensraum für Pflanzen und Tiere, als Holz- und Sauerstofflieferant, aber auch als Erholungsraum zu erhalten. Wo das nicht von selbst durch natürliche Verjüngung geschieht, muss der Mensch nachhelfen und junge Bäume pflanzen. Die Wiege dafür steht in Hanau: In der Samendarre des Landesbetriebs Hessen Forst in Hanau-Wolfgang werden Samen von Waldbäumen gesammelt und aufbereitet, um sie an Baumschulen und andere Forstbetriebe weiterzugeben - oder direkt vor Ort junge Bäumchen daraus zu ziehen. Gerade angesichts der Schäden sei der Bedarf zurzeit riesig, sagt der Technische Leiter der Darre, Lothar Volk.
In einer Kühlkammer lagert das kostbare Saatgut bei minus zehn Grad in Glasflaschen und anderen Gefäßen - darunter beispielsweise die Samen von Douglasien, Weißtannen, Roterlen, Bergahorn und Hainbuchen. Bis sie hier landen, wird großer Aufwand getrieben: So klettern alljährlich im Herbst speziell ausgebildete Arboristen in teils schwindelnde Höhen, um beispielsweise Douglasienzapfen zu ernten, denen dann die Samen mit speziellen Trocknungsverfahren - daher der Begriff Darre - entlockt werden. Geerntet wird aber auch anders - mithilfe spezieller Staubsauger beispielsweise oder einfach durch das Schütteln der Bäume, wie etwa bei der Wildkirsche. Schöner Nebeneffekt: Aus den Früchten lässt sich schmackhafte Marmelade kochen, die zusammen mit anderen Produkten wie Honig oder Wildbret im Waldladen des Forstamtes verkauft wird.
Um das Geschäft mit den Samen breiter aufzustellen und auch technisch zu optimieren, planen Volk und Forstamtsleiter Lutz Hofheinz derzeit den Bau einer neuen Samendarre auf dem Gelände. Ausgestattet mit moderner Technik, soll sie künftig Baumsamen nicht nur zur Wiederaufforstung hessischer Wälder liefern, sondern könnte auch Forstämter in anderen Bundesländern beliefern oder mit technischen Verfahren aushelfen. Gerade in Norddeutschland hätten Trockenheit und Käferfraß teils noch stärkere Schäden als in Hessen angerichtet.
Doch auch hierzulande stehen die Forstleute vor einer enormen Herausforderung: Von den rund 900 000 Hektar Wald im Bundesland gelten rund 40 000 Hektar als komplett entwaldete Schadfläche, wie der Forstamtsleiter sagt. Etwa die Hälfte der Fläche müsse künstlich wiederbewaldet werden, sagt eine Sprecherin von Hessen Forst. »Dies wird voraussichtlich zehn Jahre dauern, hängt aber stark davon ab, wie der weitere Verlauf der Schäden ist.« In jedem Fall werden dafür viele Millionen Samenkörner nötig sein - pro Hektar Eichenwald braucht es rund 6000 bis 8000 Pflänzchen, sagt Hofheinz.
Regional passende Baumsamen sind deshalb gefragte Mangelware, wie Volk erklärt. Dazu trägt nicht nur der immense Holz-Hunger aus der Wirtschaft bei, auch die Quellen für das Saatgut sind begrenzt. Denn nach dem Forstvermehrungsgutgesetz, das für den Kanon der wichtigsten Waldbaumarten in Deutschland gilt, dürfen nicht von jedem Baum nach Lust und Laune Samen geerntet und im Wald ausgepflanzt werden, sondern nur von Beständen mit besonderer Qualität, die eine Expertenkommission eigens auswählt.
Nur ungefähr ein Prozent der Waldfläche ist zur Gewinnung von Samen zugelassen - und diese wiederum auch nur zur Verwendung in der jeweiligen Region. »Das heißt, wir müssen das Glück haben, dass in diesen Beständen auch Samen dranhängen«, sagt Volk. Mit der strengen Reglementierung wolle man in diesem naturgemäß sehr langfristig angelegten Geschäft verhindern, dass Bäume, die mit den Umweltbedingungen in der jeweiligen Umgebung gar nicht zurechtkommen, im Wald landen - und dort gegebenenfalls nicht nur minderwertiges Holz liefern, sondern auch das ökologische Gleichgewicht am Standort stören.