14. Juli 2021, 18:45 Uhr

Die Stadt ist sein Sportplatz

Der kleinwüchsige Frankfurter Parkour-Sportler Ihab Yssin beeindruckt mit seinem Bewegungsstil viele auf Instagram. Das nutzt der 25-Jährige, um über Kleinwüchsigkeit aufzu- klären und Vorurteile abzubauen.
14. Juli 2021, 18:45 Uhr
Avatar_neutral
Von DPA
Mit anderen Augen durch die City: Parkour-Sportler wie Ihab Yassin suchen überall in der Stadt nach Hindernissen. An der Alten Oper trainiert er oft. FOTO: PETER JÜLICH

Die blaue Baseballcap hat Ihab Yassin umgekehrt aufgesetzt, als er Anlauf nimmt. Die Stadt ist der Sportplatz des kleinwüchsigen Parkour-Sportlers: Treppen, Mauern, Stangen, aber auch der Brunnen vor der Alten Oper werden zum Sportgerät. Auf Instagram nennt sich der Frankfurter, der 1,30 Meter misst, »little.parkour.hulk«. Über 23 000 Menschen folgen dort seinen Bewegungen. In einem seiner Videos springt der 25-Jährige über eine Mauer, rollt sich dann über einen Mülleimer ab, macht einen Handstand auf einer Rasenfläche, schlägt ein Rad.

25-Jähriger möchte Vorurteile abbauen

Zum Interview an der Alten Oper kommt Ihab Yassin, der Soziale Arbeit in Wiesbaden studiert, mit dem Rad. Sein Auftreten ist super entspannt, offen und unkompliziert.

Yassin betont, dass er mit seinen Videos zeigen will, wozu Menschen mit körperlichen Einschränkungen in der Lage sind. »Mein Ziel ist es, dass ich es mit meinem Sport schaffe, Vorurteile abzubauen und dass ›Normalos‹ Menschen mit Behinderung offener begegnen.« Er trainiert täglich, alleine oder in der Gruppe: An der Hauptwache, an der Alten Oper, eben überall.

Seit drei Jahren betreibt Yassin, der vegan lebt, ernsthaft seinen Instagram-Account. Aber erst vor wenigen Wochen hat er dort angefangen über das Thema Kleinwüchsigkeit aufzuklären - und zwar auf Englisch. »Denn dieses Nichtwissen, wie man mit kleinwüchsigen Menschen umgeht, ist kein nationales Problem, sondern ein globales«, betont er. »Das fängt auf der sprachlichen Ebene an. Also, dass man eben kleinwüchsig sagt und nicht Liliputaner oder Midget, das englische Wort für Zwerg. Beide Wörter sind eine Beleidigung. Viele Leute verstehen das aber nicht, weil sie beispielsweise mit dem Begriff Liliputaner aus dem Roman ›Gullivers Reisen‹ aufgewachsen sind.«

Es geht um Sport und Kreativität

Er mag es auch nicht, wenn fremde Menschen ihn als »süß« bezeichnen. »Das suggeriert, ich wäre so was wie ein Teddybär. Das wissen viele nicht, aber in solchen Momenten fühle ich mich einfach nicht respektiert.«

Mit 16 hat Ihab Yassin mit Parkour angefangen. Zunächst lernt Yassin die Basics in einer Parkour-Gruppe in Wiesbaden. »Mit der Zeit habe ich mir die Sachen Step by Step selber beigebracht«, erzählt er. »Anfangs habe ich nicht gedacht, dass ich mit meinem Körper so viel machen kann. Das hat mich selbst überrascht.« Beim Parkour gehe es nicht nur um Sport, sondern auch um Kreativität: »Jeder Traceur, so nennen wir uns, hat einen eigenen Bewegungsstil. Das ist wie beim Tanzen. Es gibt Leute, die machen stylishe Saltos: also Seitwärtssalto mit einer Drehung rein. Mein Stil ist, dass ich mich besonders flowig, also flüssig, von Punkt A zu Punkt B bewegen kann. »

In Mainz wird er 1995 geboren, in Bad Kreuznach wächst er auf: »Ich bin behütet, aus meiner Sicht zu behütet aufgewachsen. Das war keine böse Absicht meiner Eltern. Sie wollten nur das Beste für mich. Das ist aber ein allgemeines Problem von Menschen mit Behinderung, also dass die Eltern eben sehr vorsichtig sind. Ich wurde als Kind in Watte gepackt.« Auch noch im Erwachsenenalter würde Menschen wie ihm oft keine Selbstständigkeit zugetraut. »Dabei sind wir dazu durchaus in der Lage.«

Anfangs hatten seine Eltern Sorge, dass sein Körper das Parkour-Training nicht aushält. »Aber ich habe mich dann durchgesetzt, weil sie bemerkten, wie viel Spaß es mir macht. Sie sagten: ›Mach dein Ding‹«, erzählt Yassin.

»Für mein Selbstbewusstsein war es ein Boost. Ich habe gemerkt, dass, wenn ich es schaffe, Hindernisse beim Parkour zu überwinden, dann schaffe ich das auch im Alltag.« Beispielsweise beim Kleidungskauf - oftmals ein Problem für Kleinwüchsige. »Früher kaufte ich in der Kinderabteilung ein. Das war auch okay. Aber irgendwann will man auch gerne Mode für Erwachsene tragen. Mittlerweile kaufe ich einfach Größe XS oder S bei Oberbekleidung in der Herrenabteilung. Außerdem gibt es mittlerweile ein Modelabel für Kleinwüchsige.« 2015 und 2017 lief er bei der Berliner Fashion Week als Model für ebendieses Label »Auf Augenhöhe«. Nach dem Interview dreht er noch einen Werbespot für die Vereinten Nationen: »Sie haben 17 Sportler als Protagonisten rausgesucht für die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN. Ich sage etwas zum Thema ›Mehr Öffis nutzen‹.«Yassin will auch Menschen, die genau wie er eben keine »Normalos« seien, inspirieren. Und er sagt: »Am Ende ist der Glaube, etwas zu schaffen, wichtiger als die physischen Gegebenheiten.«



0
Kommentare | Kommentieren

Bilder und Videos