21. November 2022, 21:57 Uhr

Austritt wegen »Dauermobbing«

Vor anderthalb Jahren wollte die in Espa lebende Joana Cotar noch Spitzenkandidatin der AfD zur Bundestagswahl werden. Nun tritt sie aus der Partei und der AfD-Bundestagsfraktion aus. Wegbegleiter berichten, sie sei nach dem Austritt des früheren AfD-Chefs Jörg Meuthen in der Partei zunehmend isoliert gewesen. Die Langgönserin benennt »Dauermobbing« innerhalb der AfD und die Anbiederung der Partei an diktatorische Regime als Beweggründe für ihren Abschied.
21. November 2022, 21:57 Uhr
Joana Cotar will nicht mehr: Die AfD habe »rote Linien« im Umgang untereinander mehrfach überschritten, begründet die 49 Jahre alte Langgönserin ihren Austritt aus Partei und Bundestagsfraktion. Sie lehne außerdem eine »Anbiederung der AfD an die diktatorischen und menschenverachtenden Regime in Russland, China und jetzt auch den Iran« ab. ARCHIVFOTO: DPA

Dass die Zeichen auf Abschied stehen, war aufmerksamen politischen Beobachtern bereits vor mehren Tagen aufgefallen: Die in Espa lebende Bundestagsabgeordnete Joana Cotar hatte auf ihren Profilen auf Facebook und Twitter sämtliche Logos, Schriftzüge und Hinweise zur AfD entfernt. Stattdessen steht auf ihrem Facebook-Auftritt der Spruch: »Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.« Auf Nachfrage dieser Zeitung vor einer Woche, ob Cotar etwa aus der Partei austrete, wiegelte ihr Büroleiter noch ab. Das Fehlen der AfD-Hinweise in den sozialen Netzwerken habe mit dem schlechten Image der Partei zu tun, erklärte er.

Am gestrigen Montagmorgen nun hat Cotar ihren Austritt aus der AfD und der Bundestagsfraktion bekanntgegeben. Die Partei habe »rote Linien« im Umgang miteinander mehrfach überschritten, begründet die 49 Jahre alte Langgönserin in einer schriftlichen Stellungnahme ihren Schritt. Die AfD sei, weil es intern kaum noch um Inhalte gehe, »zur Altpartei« geworden. »Im Kampf gegen innerparteiliche Gegner ist Dauermobbing an der Tagesordnung - angefeuert von der Spitze der Partei und ihrer Netzwerke.«

Cotar erklärt, sie lehne zudem eine »Anbiederung der AfD an die diktatorischen und menschenverachtenden Regime in Russland, China und jetzt auch den Iran« ab. Die große Nähe führender AfD-Funktionäre zum russischen Präsidenten Wladimir Putin »kann und werde ich nicht mehr mittragen«.

Die scharfe Kritik am zweifelhaften, zurückhaltenden Umgang der AfD-Führung mit Russland und dem Angriffskrieg in der Ukraine liegt auch in der Biografie Cotars begründet. Sie ist in Rumänien zur Zeit der Diktatur Ceausescus geboren, ihr Vater war dort sechs Jahre in politischer Haft. Autoritäre Staatsformen lehne sie streng ab. »Ich weiß, was Kommunismus anrichten kann. Das ist der Grund, warum ich in der AfD bin«, hat Cotar im April vergangenen Jahres im Interview mit dieser Zeitung erklärt.

Noch wesentlich entscheidender für den Abschied Cotars aus der AfD dürfte allerdings ein anderer Umstand sein: Der Austritt des langjährigen AfD-Chefs und Vetrauten Cotars, Jörg Meuthen, im Januar dieses Jahres aus der Partei. Meuthen und Cotar galten als Vertreter eines weniger radikalen Kurses innerhalb der AfD. An der Seite Meuthens war Cotar vor anderthalb Jahren als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2021 im Gespräch.

Abgeordnete bleibt im Bundestag

Ohne Meuthen, berichten Wegbegleiter, habe sich Cotar in der Partei zunehmend isoliert. Die Aussichten, eine führende Rolle im Bundesvorstand einzunehmen, für den sie im Sommer dieses Jahres nicht mehr kandidiert hatte, hatten sich ohnehin zerschlagen. Der Pohlheimer AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Schulz spricht von einer »Entfremdung« Cotars innerhalb der Partei in den vergangenen Monaten. Ihr Abschied sei »schmerzhaft«, sagt Schulz.

Cotar erklärt, sie werde weiterhin im Bundestag sitzen. Ihre schriftliche Stellungnahme zum Austritt legt indes nahe, dass sie nicht lange partei- und fraktionslos bleiben wird. »Es braucht eine Vernetzung der konservativ-liberalen Kräfte im Land, um von außen etwas im Inneren der Politik zu verändern«, schreibt sie. »Daran arbeite ich.«

Ob sie nun Meuthen in die Zentrums-Partei folgt oder ob sie sich der erst am vergangenen Sonntag in Fulda gegründeten Partei »Bündnis Deutschland« anschließt, einem Zusammenschluss konservativer Politiker aus Union und Freien Wählern, bleibt vorerst Spekulation. Neben der Stellungnahme hat sich Cotar am Montag nicht weiter öffentlich geäußert.

Den Gießener AfD-Kreisverband hat Cotar am Montagmorgen um 7 Uhr informiert. Sie habe in einer E-Mail den Umgang innerhalb der Partei mit ihrer Person beklagt, berichtet Arno Enners, der stellvertretende Sprecher des Kreisverbands. Der Schritt Cotars sei »bedauerlich«, allerdings auch »nachvollziehbar, wenn man mit seiner Meinung alleine dasteht«, sagte Enners. Auf Kreisebene ist Cotar politisch bisher nie sonderlich aufgefallen. Im Kreistag saß sie von 2016 bis 2021, ohne sich zu Wort zu melden. Knapp zehn Jahre lang, seit 2013, gehörte Cotar der AfD an. Der AfD-Kreisverband verliere eine »Figur aus der Zeit der ersten Tage«, sagt Enners.



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