Eine richtige Dino-Grabung war schon als Kind mein Traum. Das Thema habe ich hiermit wohl abgehakt«, sagt Philipe Havlik und grinst schelmisch. Seit 2002 entwirft der 42-Jährige die Ausstellungen des Senckenberg-Naturmuseums, war in seiner aktiven Zeit aber auch selbst bei kleineren Grabungen dabei. Etwa im schwäbischen Eislingen, wo er und sein Team nach Fischsauriern gruben. »Die Leute waren so fasziniert von unserer Arbeit, dass sie uns mit Geschenken überschüttet haben«, erinnert er sich. »Am Schluss hatten wir ein ganzes Schnapsregal.«
Doch Deutschland ist kein Dino-Land. Die wirklich beeindruckenden Funde, Skelette von T-Rex, Stegosaurus oder Triceratops, stammen aus Nordamerika. Als ein befreundeter Dino-Begeisterter, der in den USA ein Saurier-Museum betreibt, ihm anbietet, auf dessen Grund in Wyoming zu graben, reift in Havlik eine kühne Idee. »Ich wollte, dass auch die Menschen hier in Frankfurt live bei einer Grabung dabei sein können.«
Der amerikanische Bundesstaat, in dem auch die Rocky Mountains und der Yellowstone-Nationalpark liegen, ist seit mehr als 100 Jahren für seine hohe Dichte an Dinosaurierfossilien bekannt, auch die im Senckenberg-Museum ausgestellte Edmontosaurus-Mumie stammt von dort. Havlik beschließt, 30 Tonnen bisher unberührtes Gestein nach Deutschland zu holen. Ein irrsinniger Plan - wäre nicht gerade das Unternehmerehepaar Birgit und Herbert Rebmann mit dem Wunsch an Senckenberg herangetreten, ein paläontologisches Vorhaben zu fördern.
Havlik bekommt grünes Licht. 2018 reist er in die USA, sucht nach dem vielversprechendsten Ort, plant, organisiert, entwirft die Bergungstechnik. »Das hatte vorher ja noch nie jemand gemacht, dass er die Fundstelle einfach mitnimmt.«
80 Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt lässt er Wege planieren, besorgt Bagger, Gabelstapler und eine Kettensäge mit Diamant-Sägeblättern, die mit Wasser aus einem riesigen Tank gekühlt werden muss. Ein Jahr dauern die Vorarbeiten, Mitte 2019 ist es so weit: Rund 20 Quadratmeter Gestein teilen er und seine Mitarbeiter in 16 Quadrate, sichern sie mit Kunstharz - und verschiffen sie in Containern nach Frankfurt.
Aus Statikgründen scheidet das Museum als Lagerort aus. Havlik verfrachtet die tonnenschweren Gesteinsschichten in den Hinterhof, in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Kunstverein entsteht darum herum ein roter Container, der halb Ausgrabungsstelle, halb Präparationswerkstatt ist - und der auf beiden Seiten für Besucher offen ist. Die ersten acht Steinquader wurden im vergangenen Sommer abgearbeitet. Im Winter begann die Erforschung der Exponate, in diesem Sommer sind die verbliebenen Quader dran.
Auf der Grabungsseite präpariert gerade ein Student mit Minipresslufthammer einen Knochen aus dem Stein, in den Ecken liegen Brocken mit Funden, die zu groß für eine Schublade sind. An den Wänden der Laborseite hängen Sicherheitshinweise, Notizen und Dinosaurierwitze, an einem Tisch kratzt eine Mitarbeiterin mit einem Werkzeug, das auch von Zahnärzten verwendet wird, vorsichtig um einen versteinerten Zahn herum. »Sie macht den Zahnstein weg«, sagt Havlik und lacht. Die Mitarbeiterin lacht mit. »Was die Besucher hier erleben, ist eins zu eins authentisch«, sagt Havlik.
Der Teil von Wyoming, den er sich ausgesucht hat, ist ein sogenanntes bonebed, auf Deutsch »Knochenbett«, weil dort so viele Funde zu erwarten sind: mindestens 2000 schätzt der Paläontologe. Denn anders als in der nordamerikanischen Prärie, können im roten Frankfurter Hinterhof-Labor auch die kleinsten Teilchen gesichert und untersucht werden. Ungefähr 200 Schubladen voller Zähne, Knochen, Sehnen und Schuppen haben die Forscher bereits gesammelt, schon wieder würden die Laden knapp. »Die Masse lässt uns manchmal fast verzweifeln.«
»6 Tage T-Rex-freie Zone« steht auf einer Tafel am Rand des Besucherbereichs. »So lange haben wir schon keinen Zahn mehr gefunden«, sagt Grabungsleiterin Zsofia Hajdu. Als sie ihren Job antrat, dauerte es fast 100 Tage bis zum ersten Zahn des Raubsauriers. »Wir waren alle schon total ungeduldig.« Mittlerweile wurden fünf vollständige Zähne und mehr als zehn Teilstücke gefunden. Der größte ist ohne Wurzel sieben Zentimeter lang und wird aufgrund seines hohen Wertes in einem Tresor gelagert.
Zahnfunde sind für die Forscher besonders interessant: Weil sich die Zähne vieler Saurier permanent erneuerten, lässt eine chemische Analyse des Zahnschmelzes Rückschlüsse darauf zu, was die Tiere zu sich nahmen. Edmontosauren etwa ernährten sich von bestimmten Wasser- und Landpflanzen, brauchten aufgrund ihrer Größe - ein Saurier hatte ungefähr die Masse von zwei Elefantenbullen - aber so viel davon, dass Forscher mittlerweile annehmen, dass sie gewandert sind. Havlik nennt sie »die Büffel des Erdmittelalters«.
Aus der Schaugrabung sind mittlerweile mehrere wegweisende Forschungsarbeiten hervorgegangen. »Und das, obwohl bis zum Ende nicht klar war, ob es wirklich klappt«, sagt Havlik. Und klingt selbst noch ein wenig erstaunt. »Ach, das hätte man sich denken können«, sagt hingegen eine Museums-Mitarbeiterin, die anonym bleiben möchte. »Als ich vor drei Jahren das erste Mal davon gehört habe, dachte ich zwar auch: Der spinnt. Aber wenn Philipe etwas will, dann schafft er es auch.«